[3] Kisten voller Wassermelonen

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Die Tür klickte leise hinter mir ins Schloss, als ich den Raum betrat.

Frau Shanee war bereits aufgestanden, als sie mich kommen hörte und begrüßte mich freundlich, wie jeden Samstag. Ihre hoch geschossene Gestalt mit den langen schwarzen Haaren, die sie zu einem Dutt hochgesteckt hatte, war mir inzwischen allzu vertraut.

Schon setzten wir uns beide auf die bequemen Polstersessel einander gegenüber, Frau Shanee schenkte mir etwas aus ihrem Wasserkrug mit Zitrone in ein Glas und begann die Therapiesitzung mit der üblichen Frage. Dafür nahm sie einen Schluck, setzte sie sich kaum merklich ein wenig aufrechter hin und sah mir aufrichtig interessiert ins Gesicht.

„Wie fühlst du dich?"

Es war die Standardfrage, die mich jeden Samstag um 11 Uhr erwartete. Nur diesmal eben eine Stunde später und es fiel die Zeit weg, die ich mir normalerweise immer nahm, um meine Antwort vorzubereiten. Nicht, dass ich Frau Shanee anlügen würde. Aber es war eben doch schon vorgekommen, dass ich ihr gewisse Informationen vorenthalten hatte.

Heute allerdings war das anders. Ich fühlte mich nicht von der Frage eingeschränkt, sondern auf eine merkwürdige Art und Weise befreit. Wie fühlst du dich? war nicht gleichzusetzen mit Wie geht es dir?, der Frage, auf die die einzig gesellschaftliche akzeptierte Antwort Gut lautete. Ich konnte alles sagen, mir war Freiraum geboten. Scheiße, Schrecklich, am Boden zerstört. Das, was Frau Shanee beabsichtigte und mir auch erklärte, als sie angefangen hatte, unsere wöchentlichen Therapiesitzungen mit Wie fühlst du dich? zu beginnen.

Vielleicht war das der Grund, weshalb ich gleich mit der Türe ins Haus fiel.

„Gut", antwortete ich.

Frau Shanee hob kaum merklich die Augenbrauen und ihre Gesichtszüge erhellten sich.
„Wirklich?", hakte sie nach und ich nickte, den Blick nicht wie üblich auf die Tischkante gerichtet, sondern auf Augenhöhe mit Frau Shanee. „Das freut mich wirklich zu hören, Bea."

Allein an ihrer Stimmlage erkannte ich schon, dass sie es ehrlich meinte. Meine Therapeutin hatte eine erstaunliche Fähigkeit, die es ihr erlaubte, es andere Menschen sehen zu lassen, wenn sie es ehrlich mit etwas meinte. Natürlich könnte man sagen, dass das alles nur zu ihrem Dasein als, nun ja, Therapeutin eben, gehörte. Aber ich wusste einfach, dass das nicht stimmen konnte. Besonders heute. Und so schrecklich waren meine Menschenkenntnisse nicht, auch wenn sich bei diesem Gedanken ein paar meiner Gehirnwindungen unwohl zusammenzogen. Was auch immer sie mir damit sagen wollten.

„Worüber möchtest du denn heute reden?", folgte gleich die nächste Frage und als könnte sie an meinem Gesicht ablesen, dass sich leichtes Unwohlsein in mir aufbaute, schob sie hinterher: „Es kann alles sein, egal wie absurd es dir im Moment vorkommt."

Ich zögerte immer noch. Sollte ich ihr direkt am Anfang schon von heute Morgen erzählen? Je mehr ich darüber nachdachte, desto mehr kam es mir wie ein Fiebertraum vor. Ich hatte fast schon den Entschluss gefasst, es unter den Tisch fallen zu lassen, als Frau Shanee mich wissend anlächelte. „Ich sehe es doch in deinem Gesicht, dass du über irgendetwas brütest. Gib dir einen Ruck. Ich verurteile dich für nichts, das weißt du."

Trotzdem brauchte ich noch einige Sekunden, um meine Gedanken zu sortieren.
„Ich hatte heute Morgen einen- einen Traum. Oder zumindest glaube ich, dass es ein Traum war." Erneut setzte ich eine Pause. Sollte ich wirklich fortfahren? Das war doch lächerlich. Unter Frau Shanees Blick konnte ich allerdings auch nicht lange standhalten. Es wirkte fast schon so, als wäre sie bereit dazu, mit eine Pinzette jede kleine Information aus meiner Nase zu ziehen, wenn sie müsste. Also fuhr ich fort.

„Es war sehr seltsam- Ich war auf einer Wiese, auf einer großen Wiese. Ein sehr weites Feld und in der Ferne stand ein Wald. Ich glaube es war Nacht, auf jeden Fall war alles sehr dunkel ... dann war da plötzlich grelles Licht, so grell, dass es fast schon wie ein Abgrund aus Licht war, in den ich hineingefallen bin und-" Ich stoppte. Dachte nach. Ein Abgrund aus Licht, umgeben von Dunkelheit? Mein Gefasel ergab keinen Sinn. Schon wollte ich wieder den Mund aufmachen und die Absurdität meiner in Worte gefassten Gedanken ausdrücken, da legte Frau Shanee ihren Stift aus der Hand, mit dem sie sich wie immer die wichtigen Stichworte notiert hatte und sah zu mir auf.

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⏰ Last updated: Mar 26 ⏰

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Im Himbeertörtchen spürt man den Regen nichtWhere stories live. Discover now