umgesehen

3 1 0
                                    

Es war die morgendliche Flut, die mich am nächsten Tag weckte

Oops! This image does not follow our content guidelines. To continue publishing, please remove it or upload a different image.

Es war die morgendliche Flut, die mich am nächsten Tag weckte. Vom Schlaf verwirrt war ich zunächst nicht in der Lage, das Geräusch einzuordnen und glaubte mich wieder in meiner Heimat Reedeen, an meinem Lieblingsplatz am Wasserfall der Vane. Es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass ich dort eingeschlafen war. Ich hatte mich oft dorthin zurückgezogen, um eine kurze Erholung von der täglichen Plackerei am Webstuhl und den ständigen Anfragen der Menschen, die meine Heiltränke benötigten zu genießen. Und mehrmals war ich dann etwas später erwacht, mit Gras im Haar, vom Wasserfall benetzter Bluse und vom Liegen auf dem harten Boden verspannten Rücken.

Das alles war aber jetzt nicht der Fall, im Gegenteil, ich hatte selten so gut geschlafen wie in dieser Nacht. Als ich meine Unterlage abtastete, erwies sie sich als Matratze. Nicht mit Stroh gepolsterte Jute, wie ich es gewöhnt war, sondern fest mit Rosshaar gestopftes feines Leinen. Die Decken über mir bestanden aus weichen Fellen und mit zarten Daunen gefüllte Seide. Einen solchen Luxus habe ich niemals genießen können; wie es sich anfühlt, wusste ich nur aus der Zeit, als ich auf dem Schloss Dienst getan hatte.

Inzwischen war mir eingefallen, wo ich mich befand und wie ich dahin gekommen war. Und nun konnte ich auch das Geräusch identifizieren; das war kein stetes Fließen wie von einem Fluss und einem Wasserfall, sondern das auf- und abschwellende Rauschen von Wellen, die ans Ufer schlagen. Und es klang so nahe, dass ich halb und halb erwartete, den Boden voll Wasser vorzufinden. Immerhin war ich gestrigen Tag doch ziemlich nahe am Ufer aufgeschlagen, oder etwa nicht?

Aber der Boden war trocken. Ich stand rasch auf; jetzt, wo es hell war, wollte ich als erstes einmal meine Umgebung erforschen. Und mich nach dem Hausbewohner umsehen. Schließlich konnte ich mich nicht einfach hier einnisten, ohne irgendjemanden um Erlaubnis zu fragen.

Das Zimmer, in welchem ich geschlafen hatte, erwies sich als Schlafzimmer, war aber so groß, dass meine ganze Kate in Reedeen hineingepasst hätte. Ich hatte in einem Bett geschlafen, welches mühelos drei oder vier Personen Platz geboten hätte und bei dieser Erkenntnis fragte ich mich prompt, ob der Hausherr vielleicht neben mir genächtigt hatte. Ich konnte allerdings keine Spuren finden, die darauf hinwiesen; die Decken und Felle waren nur dort zerwühlt, wo ich gelegen hatte und die Kissen auf der anderen Seite waren glatt, während meines ziemlich verknüllt aussah.

Während ich mir Rock und Bluse überstreifte und die Bänder zuknüpfte, sah ich mich weiter um. Mehrere große Kisten standen an der einen Wand, gegenüber befand sich eine große Kommode mit tiefen Schubladen. Auf der Kommode lagen zwei kurze, kräftige Messer, wie man sie zum Aufhebeln von Muscheln benutzt, einige Dolche verschiedener Machart, drei getrocknete Seesterne in leuchtenden Farben, eine Schale mit sorgfältig polierten und geschliffenen Steinen und zunächst des Fensters ein Topf mit einem gut einen halben Meter hohen Lavendelstrauch. Das erklärte mir den frischen Geruch im Zimmer sowie den Umstand, dass ich trotz der Schrecken des vergangenen Tages ruhig und ohne Alpträume geschlafen hatte. Die entspannende und schlaffördernde Wirkung des Lavendels hatte ich selbst oft genutzt; einer der Gründe, warum man mich als Hexe bezeichnet hatte. Gott hat uns die Heilkräuter gegeben, aber wer weiß, wie sie anzuwenden sind, kann sein Wissen nur vom Teufel haben. Das ist zumindest die Logik der Hexenjäger, der ich mich bis heute nicht anzuschließen vermag.

UnsichtbarWhere stories live. Discover now