14 | Wir

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In letzter Zeit hatte sich sehr viel verändert. Ich habe angefangen, mein Dasein im Elysia zu hinterfragen. Ich habe zugesehen, wie Lian und Enya ihren Platz hier annahmen. Enya war schon immer gut darin gewesen, Getränke zu mischen. Ich dachte immer, sie würde auch bald mit Seelen reden, aber... ich merkte, wie sowas gar nicht nötig war.
Lian schien etwas unbeschwerter. Seitdem wir auf einer Wolke durch die Lüfte geflogen sind, schien dey sich besser mit Elysia zu verstehen.

Ich hatte auch Iduna kennengelernt. Zuerst erschien sie mir selbstbewusst und glücklich, doch es stellte sich schnell heraus, dass hinter dieser Fassade mehr steckte. Ich habe mich über sie aufgeregt und gesorgt, gleichzeitig genoss ich die Zeit mit ihr. Mit ihr fühlte ich mich erfüllt. Wir fahren wie zwei Dinge, die einander brauchten. Pergament und Schreiber. Sonne und Mond. Ich mochte sie. Sie war eine wunderbare Person. Wie sich herausstellte... kannten wir uns länger, als ich dachte. Ich meinte, sie kannte mich. Ich hatte sie vergessen wie den Rest meiner Vergangenheit.

Sie war noch nicht gestorben. Trotzdem war sie im Dazwischen. Im Elysia. Im Moment gerade neben mir. Sie saß da, in sich zusammengesunken, meine Hand hatte sie fest umklammert. Ihre Locken fielen ihr ins Gesicht, als würde sie am liebsten verschwinden. Ich hatte mich in eine Statue verwandelt. In meinem Kopf schienen sich ihre Worte in Endlosschleife abzuspielen. Diese besondere Person, von der ich dir erzählte. Das warst du. Du bist es.

Ich hatte mich bereits oft gefragt, ob wohl bereits jemand meines vergangenen Lebens bei mir aufgetaucht war. Doch die Wahrscheinlichkeit war unglaublich klein - es gab so viele Menschen, und so viele Orte im Dazwischen. Manchmal, in sternenlosen Nächten, saß ich draußen auf dem Balkon und stellte mir heimlich vor, wie mich meine Familie besuchte. Sie würde mich umarmen und all meine Erinnerungen würden auf mich zuströmen. Als wären sie zurückgehalten worden, und meine Liebsten würden sie befreien. Jetzt hatte ich jemanden aus meinem alten Leben kennengelernt. Aber ich fühlte kein bekanntes Gefühl. Ich sah Iduna, die Seele, die eigentlich noch lebte. Ich sah Iduna, wie sie jetzt war, wie ich sie kennenlernte. Iduna, die gerne rannte und unter dem Sternenhimmel philosophierte.

»Ich... ich erinnere mich nicht.« In meinen Augen brannten Tränen. »Tut mir leid.«

Iduna nickte. »Ich hatte gehofft... bevor du von der Erde gingst, erzähltest du mir, es wäre deine Aufgabe, ins Elysia zu gehen. Ich wusste, du würdest mich nicht erkennen, aber... ich dachte, vielleicht...«

Sie so zerstört zu erleben versetzte mir einen tiefen Stich ins Herz. »Ich kenne dich jetzt«, wisperte ich. »Ich kenne dich jetzt, Iduna, und ich denke, du bist die mutigste Person, die ich kenne.«

»Wirklich?« Iduna spähte zwischen ihren Locken hervor. Als Bestätigung rückte ich näher und strich ihre Locken aus dem Gesicht, vorsichtig wie ein Windhauch. Sie verfolgte jede meiner Bewegungen. Wir waren uns so nah, dass ich ihren regelmäßigen Atem in meinem Gesicht spürte. Ich vergrub meine Hände tiefer in den schwarzen Locken. Sie rührte sich nicht. Einen Augenblick lang befürchtete ich, ich wäre zu aufdringlich. Doch dann hob sie ihrerseits ihre Hand und schob meine kastanienbraunen Haare zur Seite. Mein Herz schlug ganz schnell, als wüsste es, was hier gleich passieren würde.

Ich vereinte unsere Lippen. Ihr Kuss schmeckte nach Sonnenlicht auf Regenwolken, Sternenstaub und Kirschensaft. Ein Hochgefühl überkam mich, als würde ich schweben, ein berauschendes Gefühl, nach welchem ich strebte. Ich beugte mich tiefer vor, vergrub meine Hände tiefer in ihrer Haarpracht. Ein salziges Aroma fügte sich dem Kuss zu, der Geschmack von Trauer in meinem Mund. Erst, als ich mich von ihr löste, sah ich, wie sie weinte. Tränen quollen aus ihren Augen, rannen langsam ihre Wangen hinab. Behutsam strich ich sie weg, mein Blick suchend. »Alles okay?«

»Du musst das nicht tun«, erwiderte sie, worauf ich die Augen aufriss. Dachte sie, ich würde sie nur küssen, weil ich mich dazu verpflichtet fühlte? Weil wir früher zusammen waren? Ich schüttelte überzeugend den Kopf. »Ich möchte das auch«, erklärte ich. »Ich mag dich, Iduna. Ich mag dich wirklich.«

Ihre herzförmigen Lippen wichen einem ernsthaften Lächeln. »Ich mag dich auch, Althea.«

Wir küssten uns nochmals, und ich wünschte mir, wir könnten für immer so bleiben. Vereint und glücklich bis ans Ende der Zeit. Doch es gab kein für immer. Nichts war ewig, schon gar nicht dieser Moment. Iduna löste sich zaghaft von mir. An meinen Lippen flüsterte sie drei Worte, welche ich gerade am wenigsten hören wollte. »Ich sollte gehen.«

Sie erhob sich und strich ihr Kleid glatt. Ich stand ebenfalls auf und wünschte, ich könnte den Moment irgendwie hinauszögern. Doch er würde so oder so kommen. Iduna musste gehen, und ich hatte keine Ahnung, wann sie wiederkommen würde.
Ich dachte an ihre kalten Hände und die Erfrierungen an ihrem Hals. »Tut es weh?«, platze ich raus. »Hierher zu kommen, meine ich?«

Wie erwartet legte Iduna ihre Verletzungen frei. »Etwas macht es mit mir. Definitiv ein unangenehmes Gefühl«, berichtete sie. »Ich werde wohl nicht mehr so oft vorbeikommen können. Sonst werden meine letzten Jahre auf der Erde die schlimmsten, weil der Trank meinem Körper schadet. Ich werde dadurch nicht sterben, einfach schwächer.«

Ich wollte schreien, weil manche Dinge einfach ungerecht waren. Wie kam es, dass ich mein vergangenes Leben vergessen hatte und jetzt eine Verbindung dazu hatte, endlich, nach all diesen Jahren - aber diese auch wieder verschwinden musste? Sie konnte nicht zu oft vorbeikommen. Sie würde mich verlassen, wie es alle taten. Wie jede einzelne Seele, die das Elysia betrat. Betrat und wieder verließ.

»Wir sehen uns noch«, versicherte sie mir. Dann legte sie ihre Arme um mich, hielt mich fest. Dasselbe wie das von den Deseonen verursachte Gefühl. Jetzt hatte ich meine Sehnsucht bekommen, aber so schnell sie gekommen war, so bald verschwand sie auch wieder. Sie küsste meine Schläfe, eine zarte Berührung ihrer Lippen. Dann war sie weg, zur Tür hinausgetreten, schneller, als ich es wahrnehmen konnte. Ich hörte ein leises Geräusch, als die Tür sich schloss.

Dann war ich wieder allein. Resigniert setzte ich mich auf den Boden. Tränen sammelten sich in meinen Augen an und ich sah zu, wie alle Farben des Raumes sich wie auf einer riesigen Farbpalette vermischten.

The Café between the starsWhere stories live. Discover now