Kapitel 5

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Ich hatte noch einige Bandagen am Körper und diese mussten alle paar Tage noch gewechselt werden. Ganz raus aus dem Krankenhaus war ich also noch nicht. Doch ich konnte mich inzwischen relativ normal bewegen und durfte nun wieder zuhause schlafen.

Maria begleitete mich den Flur hinab zum Fahrstuhl. Um ihre Schulter war meine Tasche mit den wenigen Habseligkeiten, die ich hier bei mir hatte. Die gesamte Stimmung konnte man mit dem Messer schneiden und wenn man ihr Gesicht sah, würde man meinen, dass sie mich zu einem Schafott zur Hinrichtung brachte.

»Es wird alles gut werden«, meinte ich zu ihr.

»Komm einfach sofort wieder hierher, wenn es zu schlimm wird«, meinte die Krankenschwester kopfschüttelnd. »Deine Mutter hat dich kein einziges Mal besucht. Auch nicht deine Schwester. Wie bist du aufgewachsen? Wie wohnst du...? Ich wünschte ich könnte...«

Sie brach ab. Wir erreichten den Fahrstuhl und ich drückte den Knopf um die Kabine zu rufen.

»Du hast mich wieder gesund gepflegt«, sagte ich, während wir warteten. »Mehr kannst du nicht und konntest du nicht tun. Den Rest werde ich übernehmen.«

Die Türen öffneten sich. Eine andere Krankenschwester schob jemanden im Rollstuhl heraus. Wir beide traten dann in den Fahrstuhl. Dabei spürte ich dann, wie sie meine Hand ergriff und zudrückte.

»Viola«, flüsterte sie dabei nur.

»Ich habe keine Angst«, entgegnete ich. »Nicht mehr.«

Das Krankenhaus war kein hohes Gebäude. Nach nur wenigen Sekunden erreichten wir die Lobby, die momentan ziemlich leer war. Die Angestellten an der Rezeption unterhielten sich leise miteinander. Ein Arzt huschte vorbei und eine kleine Gruppe Besucher ging gemächlich zu einem der Korridore. Jenseits der Glastüren konnte ich bereits den leicht gekrümmten Rücken meiner Mutter sehen, die rauchte.

Maria schien fest entschlossen immer noch nicht loszulassen und so standen wir für einige Momente in der Lobby. Schließlich schluchzte sie leise.

»Ich wünschte wirklich, ich könnte dir mehr helfen, Viola«, begann sie. »Dich fortbringen. Zu mir oder zu irgendjemand anderes. Deine Verletzungen heilen gut, aber was ist mit den Bedingungen, die dich überhaupt dazu getrieben haben, dir dies selbst anzutun? Wirst es auch wirklich nicht wieder tun? Gibt es irgendwas... irgendwas... was ich für dich tun kann?«

»Ja, etwas«, gab ich zurück, nahm ihr die Tasche ab, legte diese dann aber sofort auf den Boden.

Ich trat dann etwas nach vorne und nahm die überraschte Maria in die Arme.

Die junge Frau war zuerst etwas verwundert darüber. Doch ihre Schultern zitterten dann und ich spürte dann ihre eigenen Hände an meinen Schulterblättern. Sie presste sich dann ganz dicht an mich.

Die Umarmung war nicht für mich und sie wusste es wahrscheinlich auch. Ich tat es für sie, die hier an diesem Ort arbeitete, wo viel von dem wenigen Leid dieser Welt häufig zusammenkam.

»Vielen Dank für alles«, sagte ich und wer konnte wissen, wann sie das Letzte Mal diese Wörter gehört hatte. Meine Finger strichen beruhigend über ihre pinke Uniform. »Alles wird gut werden. Glaub mir.«

»Werden wir uns wiedersehen, Viola? Ich möchte auch in Zukunft wissen, wie es dir geht.«

»Werden wir«, versicherte ich und um dies zu unterstreichen hielt ich die Verabschiedung kurz.

Nachdem wir aus der Umarmung auseinandergingen, winkte ich ihr noch einmal zu, bevor ich mit der Tasche nach draußen ging. Dabei bemerkte ich noch, wie sie sich frische Tränen aus den Augenwinkeln wischte.

»Da bist du«, keifte mich meine Mutter an, kaum als die Schiebetür sich hinter mir schloss. »Können wir los?«

»Können wir«, meinte ich mit einem Nicken.

Sie drückte die letzten Reste ihrer Zigarette aus und wir gingen dann zum Parkplatz, um ins Auto zu steigen.


Ein Tropfen der GlückseligkeitDonde viven las historias. Descúbrelo ahora