Ich beschloss den Wald zu besuchen.
Es war eine spontane Entscheidung und ich schrieb meiner Mutter übers Handy kurzerhand, dass ich bei einer Freundin übernachten würde. Dann stieg ich in einen der Abendbusse, ohne noch einmal nachhause zu gehen, um Sachen zu holen.
Fast eine Stunde fuhr ich. Über die Stadtgrenzen hinaus, durch kleinere Dörfer und vorbei an Feldern, die von Schatten verschlungen wurden, als die Sonne sich immer weiter zurückzog. Die Augen von Rehen glitzerten im Licht der immer weniger werdenden Straßenlaternen.
Als ich wieder ausstieg, war es tiefset Nacht und ich stand vor einem der hohen, bewaldeten Hügel, die ich manchmal von der Stadt aus betrachtet hatte. Vorbei an einigen stillen Bauernhäusern, fand ich schnell einen Pfad, den ich nach oben folgte.
Nach einem kurzen Treck erreichte ich eine flache Lichtung, wo ein Lagerfeuer brannte. Musik dröhnte. Junge Menschen tranken Bier. In einem nahen Gebüsch küsste sich ein Pärchen.
Ich wollte von den Feiernden nicht gesehen werden. Ein Schattengeist kam mir aber zur Hilfe und schirmte mich vor ihren Blicken ab. So entkam ich den Trubel und war von da an allein auf dem Pfad.
Farne kratzen an meinem Kleid. Über mir in den Ästen knackte es.
Keine Angst war in mir, da ich nicht alleine war.
Mehr und mehr Feen, Kobolde und Geister schritten mit mir. Im Vergleich zur Stadt waren es Unzählige. In jedem Stamm und unter jedem Felsen lebten sie hier.
Sie beleuchteten meinen Weg, federten meine Schritte ab und tanzten um meinen Kopf herum. Eine außerweltliche Parade führte mich hinauf. Sogar ein Einhorn ritt kurz an meiner Seite mit seinen lautlosen Hufen.
Schließlich erreichte ich einen steinernen Abhang. Die Bäume zogen sich zurück. Nur einige verirrte Wurzeln hingen über den Abgrund. Die Stadt lag hinter mir, außer Blick wegen des Hügelgipfels, den ich inzwischen umrundet hatte.
Die Landschaft vor mir finster und schwarz.
Der Himmel dafür ein Feld aus schimmernden Diamanten. Durch die Monate in der Zivilisation hatte ich vergessen, wie hell der Nachthimmel sein konnte. Dort oben existierten die Altvorderen, die man weder lebendig noch tot nennen konnte. Ich wusste nur von ihrer Existenz von einem Drachen, den ich in meinem alten Leben getroffen hatte und wenn man ganz genau hinhörte, konnte man manchmal den Nachhall ihres stellaren Wisperns hören. Sie hatten meine Seele damals in diese Zeit geschickt, um meiner Bitte nachzukommen.
Ich schaute auf in das Sternenzelt, in Gedanken versunken. Auf meinen Schultern saßen Feen, eine durchsichtige Schlange aus Wasser schlängelte sich um mein Bein und ich roch die Kräuterpfeife eines Kobolds in der Nähe.
Seitdem man mich damals in die Waldgrotte ausgesetzt hatte, begleiteten mich die Geister der Natur. Sie waren meine ständige Begleitung. Doch was waren sie genau für mich?
Zwei der Sterne lösten sich über und kamen herab. Bald schon stellten sie sich als besonders große Lichtfeen heraus. Sie sahen fast menschlich aus und schwebten mit einem warmen Lächeln über mir.
Eine von ihnen deutete in Richtung der Baumgrenze. Ich sah dorthin und bemerkte eine mächtige Eiche, deren Stamm nun einen goldenen Riss zu haben schien. Hunderte von Glühwürmchen flogen aus dieser dreieckigen Öffnung heraus und ich bemerkte, wie all die Fabelwesen um mich herum jubelten.
Es war eine Einladung.
Man bot mir an die Oberfläche dieser Welt zu verlassen und in ihr magisches Reich zu gehen, wo ewiger Frühling auf mich wartete.
Eine der Lichtfeen nahm sogar meine Hand und wollte mich sanft mitziehen zu dem Tor. Sie war begierig mich ihrer Königin vorzustellen. Dich ich kam nur einen halben Schritt mit.
Obwohl ich meine ersten Jahre in ihrer Gegenwart aufgewachsen bin, war ich schlussendlich doch zu anderen Menschen gegangen. Der Gedanke, dass Feen oder andere Geister Freunde oder gar Familie sein könnten, war mir nie gekommen.
Zwischen ihnen und mir gab es doch zu viele Unterschiede. Meine Welt war nach wie vor diese. In ihrer Heimat würde ich kein Glück finden. Es würde ein Entkommen, eine Flucht sein. Mehr nicht.
Und nun, wo ich die Möglichkeit präsentiert bekam, wollte ich nicht fliehen. Viola zählte auf mich. Was würde aus meiner Mutter, Franziska, Maria, Hannah oder Nikki werden? Nein, ich konnte nicht mitgehen.
Ich schüttelte den Kopf und verständnisvoll zogen sich die Lichtfeen zurück. Die Eiche schloss sich wieder. Für immer.
Den Rest der Nacht betrachtete ich weiter die Sterne, bevor ich am nächsten Morgen nach Hause zurückfuhr.
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Ein Tropfen der Glückseligkeit
خيال (فانتازيا)Eine junge Frau im Mittelalter wird als Hexe auf dem Scheiterhaufen verbrannt, da sie mithilfe von Naturgeistern versuch hatte, die Kranken zu heilen. Doch anstatt ins Nachleben zu treten, wacht sie in der heutigen Zeit im Körper von Viola auf, eine...