Chapter 9

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Ich konnte an nichts Anderes mehr denken. Permanent grinste ich in mich hinein, wenn ich an die Begegnung mit Paulson in der Bibliothek dachte. Den Cardigan, den sie mir an diesem Abend gegeben hatte, bewahrte ich unter meinem Kopfkissen auf. Den Duft ihres Parfüms in der Nase und die sanfte Baumwolle auf der Haut fühlte es sich an, als würde sie unmittelbar neben mir liegen. Petes Anrufe hatte ich ignoriert. Es hatte sich falsch angefühlt, mit ihm zu sprechen, ihn zu sehen oder mit ihm zu schreiben. Nach dem Kuss zwischen Paulson und mir, wirkte die "Beziehung", in der ich mich mit ihm befand wie ein schlechter Scherz. Ich wollte ihn nicht verletzen, spürte aber, dass ich eine Pause brauchte, um meine Gedanken zu sortieren. Ich wusste nicht, ob ich Pete liebte, ob ich Paulson liebte, was genau ich wollte. Ich wusste nur, dass ich diesen Kuss in der Bibliothek wollte, Paulsons Lippen auf meinen, ihre Hände auf meinem Körper. Die Vorstellung, dass ich sie gleich sehen würde, elektrisierte mich. Ich eilte durch die langen Gänge der "Sperrzone". Die Neonröhren flimmerten hektisch und alle paar Meter begegnete mir eine ausgelastete Sekretärin oder eine übermüdete studentische Hilfskraft. Ich versuchte, mich an die Szenerie zu fügen, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich erst zum zweiten Mal die kühlen Betonflure entlangschritt. Meine Haare hatte ich zu einem festen Pferdeschwanz nach hinten gebunden. Ich hatte lange überlegt, was genau ich anziehen sollte und mich schließlich für ein schwarzes, enges T-Shirt und eine braune Chinohose entschieden, die meine schmalen Hüften betonte und nicht allzu von meinem üblichen Kleidungsstil abwich. Ich umfasste den Gurt meiner Tasche ein wenig fester und kam vor einer der vielen dunklen, hölzernen Türen stehen. Prof. Dr. Sarah Paulson, Professor of Social Psychiology, Chair of Psychiology, las ich eher beiläufig und empfand einen gewissen Stolz, dieser Person auf so intime Weise begegnet zu sein. Die Schritte der Menschen um mich herum hallten echohaft durch die Gänge und erzeugten eine unruhige, kühle Atmosphäre. Ich richtete mein Oberteil und klopfte.

"Herein", hörte ich eine weibliche Stimme aus dem Inneren. Ich drückte die Klinge hinunter und betrat das Vorzimmer. An dem ausladenden Schreibtisch saß eine junge Frau, ungefähr in meinem Alter. Durch das große Panoramafenster fielen Sonnenstrahlen auf das Bücherregal neben dem Schreibtisch. Kleine Staubkörner tanzten in der Luft. Die Tür fiel hinter mir ins Schloss und beendete das belebte Treiben auf den Gängen, die ich soeben verlassen hatte, abrupt. Stille erfüllte den Raum. Im Gegensatz zu meinem letzten Besuch war der Schreibtisch ordentlich aufgeräumt, ein paar Papiere lagen vor der Sekretärin, ein Festnetzanschluss thronte auf der linken Hälfte des Schreibtischs. Ihre Augen hafteten auf einem PC-Bildschirm. Die Durchgangstür zu Paulsons Büro war geschlossen.

"Wie kann ich Ihnen weiterhelfen?", fragte die Sekretärin. Ihre schwarzen, langen Haare hatte sie mit einer Klammer nach oben gesteckt. Ihr rundes Gesicht war hübsch, auf ihrer Nasenspitze ruhte eine Lesebrille, die sie schwungvoll absetzte und neben den Block legte, auf dem sie gerade geschrieben haben musste. Vor dem imposanten Bücherregal wirkte sie seltsam rundlich, geradezu kugelförmig. Ich lächelte freundlich, aber ihr Blick verriet mir, dass sie eigentlich keine Lust hatte, mir weiterzuhelfen.

"Ich würde gern mit Professorin Paulson sprechen", antwortete ich und schielte erwartungsvoll auf die Durchgangstür. Ich rechnete damit, dass Paulson jede Sekunde öffnete. Meine Vorfreunde mischte sich mit Aufregung. Was war, wenn Paulson mich bewusst mied, weil unsere "Begegnung" sie in berufliche Schwierigkeiten bringen könnte? Ich zwang mich, diesen Gedanken als abwegig zu Seite zu schieben. Wenn Paulson den Kuss nicht gewollt hätte, dann hätte sie ihn nicht erwidert, hätte mich nicht berührt, wenn sie mich nicht hätte wiedersehen wollen, dann hätte sie das Gesprächsangebot nicht eröffnet und wenn sie nicht an mir interessiert war, warum war es ihr dann so wichtig, mit mir über das Geschehene zu sprechen?

"Haben Sie einen Termin?" Die quengelnde Stimme der Sekretärin riss mich aus meinem Gedankenchaos und ich war ihr ein wenig dankbar dafür, auch wenn ich wenig Lust auf ein Gespräch mit ihr verspürte. Ihre müden Augen überflogen beiläufig den Bildschirm, während sie ein wenig näher mit ihrem Schreibtischstuhl an den Schreibtisch heranrollte.

"Nein, kein Termin, Professorin Paulson bat mich, zu ihr zu kommen." Eine einzelne weiße Wolke schob sich andächtig über den blauen Himmel, den ich durch das Panoramafenster beobachtete.

"Das geht nicht", sagte die Sekretärin und fixierte mich mit ihren müden Augen. Ihre Körperhaltung war aufrecht, beinahe so, als wollte sie dadurch ihren Standpunkt verfestigen. Ihre umfangreiche Oberweite schwebte bedrohlich nahe ein paar Zentimeter über der Schreibtischplatte. Verwirrt versuchte ich, zu verstehen, wovon sie sprach.

"Wie bitte?", fragte ich deshalb, vielleicht hatte sie mich missverstanden. Paulson hatte mich ja gebeten, zu ihr zu kommen.

"Sie brauchen einen Termin, damit sie mit Ms. Paulson sprechen können. Bitte vereinbaren Sie den vorab per Mail oder per Telefon", erklärte sie in ihrer gepressten Stimme und deutete auf das schwarze Tastentelefon vor ihr. Gelangweilt widmete sie sich wieder ihrem Computerbildschirm und schenkte mir keinerlei ihrer ohnehin schon sehr spärlichen Beachtung. Der Courser klickte und ich fragte mich, ob das Gespräch zwischen uns nun beendet war.

"Ist Professorin Paulson denn anwesend? Es handelt sich wirklich nur um ein kurzes Gespräch, ich bin mir sicher, dass sie Zeit hat, wenn Sie sie nur kurz...", den Rest meines Satzes konnte ich nicht mehr loswerden, weil die Sekretärin mich unwirsch unterbrach. Ihr rundlicher Körper blähte sich auf, während sie mit konzentriert geschlossenen Augen auf mich einredete: "Wenn Sie keinen Termin haben, dann müssen Sie jetzt gehen. Professorin Paulson nimmt keine unangemeldeten Gespräche entgegen. Das ist unprofessionell." Sie öffnete ihre müden Augen und die letzten Worte verließen staccatohaft ihre Lippen. Ich war von ihrer Unhöflichkeit überrascht. Unentschlossen verlagerte ich mein Gewicht von dem einen Bein auf das andere und wich ihrem verärgertem Blick aus. Mit einer derartigen Abweisung hatte ich nicht gerechnet.

"Kann ich bei Ihnen persönlich einen Termin vereinbaren?", fragte ich unwirsch. Was bildete sich diese Frau eigentlich ein, mich so herablassend abzuweisen? Ich warf einen letzten Blick in Richtung der Bürotür und hoffte, Paulson würde auftauchen, aber vergebens. Die Tür blieb zu, die Sekretärin unfreundlich. Ihre feinen Haare hoben sich unordentlich von dem Schein der Sonne ab, während sie mit spitzem Mund auf ihren PC-Bildschirm starrte.

"Nein", erwiderte sie kurz angebunden, ohne von ihrem Bildschirm aufzuschauen. Ich schluckte meine Ärger hinunter. Es hatte keinen Sinn, sich mit ihr anzulegen.

"Trotzdem vielen Dank für Ihre Mühen", erwiderte ich zuckersüß, "Einen schönen Tag wünsche ich Ihnen." Mit diesen Worten drehte ich mich um und verließ das Vorzimmer. Als mich die kühle Luft des Flures und die hallende Atmosphäre der Universität umhüllte, atmete ich tief ein. Ich würde Paulson sprechen, darin bestand kein Zweifel.

Failing the examWo Geschichten leben. Entdecke jetzt