Chapter 26

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Die blaue Mitarbeiterkarte schlug sachte gegen die schwarzen Knöpfe meines Blazers, während ich neben Sarah Richtung Main Hall ging. Die kühle Luft der Sperrzone wurde begleitet durch das eintönige Dröhnen der Belüftungsrohre, die sich wie dicke Schlangenlaiber über die hohen Decken zogen. Sarahs Pumps klapperten laut auf dem harten Betonboden und ihre blonden Haare wippten im Takt ihrer Schritte. Es war 13:23 und sie hatte mir nach der Unterzeichnung des Arbeitsvertrages und der trockenen Einführung durch die Sekretärin in mein neues Arbeitsumfeld eine Mittagspause gestattet.

"Normalerweise mache ich ja gar keine Mittagspause", erzählte sie, während wir uns durch eine Gruppe Mitarbeiter schlängelten, die sich vor einem Materialraum anhäufte.

"Das ist aber nicht sehr ausgewogen, Ms. Paulson", sagte ich und beeilte mich, zu ihr aufzuschließen. Wir kamen vor einem alten Fahrstuhl zum Stehen, der uns in das Erdgeschoss befördern sollte. Das kleine, zerkratzte Lämpchen leuchtete rötlich, während wir gebannt auf die verschlossenen Schiebetüren starrten.

"Ich verbitte mir derartige Kommentare, Ms. Thorne", sie räusperte sich seltsam auffällig und ich grinste in mich hinein, weil ich wusste, dass sie es nicht ernst meinte. Sie hatte es sich angewöhnt, sich immer dann zu räuspern oder ihre Brille zurecht zu rücken, wenn sie etwas sagte, dass sie ausschließlich aufgrund ihrer Rolle sagen musste.

"Verzeihen Sie meine Unhöflichkeit", erwiderte ich und unsere Blicke trafen sich, doch ich musste direkt wegschauen, um nicht laut zu lachen. Die Fahrstuhltüren öffneten sich mit einem metallenen Quietschen und ich wunderte mich, wofür ich meine Studiengebühren zahlte, wenn die Fahrstühle aussahen wie aus dem letzten Jahrhundert. Wir betraten die enge Kabine und die Türen schloss sich quietschend, während wir krampfhaft versuchten, einen ernsten Gesichtsausdruck zu bewahren. Die Luft roch nach abgestandenem Zigarettenqualm. Als sich der Fahrstuhl in Bewegung setzte, prustete ich los und hielt mich vor Lachen an Sarahs Schulter fest.

"Ich kann nicht mehr, wirklich", keuchte ich. Sarah grinste, während sie auf die Taste für das Erdgeschoss drückte.

"Ich dachte meine Unhöflichkeit erleichtert er dir vielleicht, dich von mir zu distanzieren." Ich fing mich allmählich und griff beinahe intuitiv nach ihrer Hand. Der Fahrstuhl rumpelte, während wir uns in ihm durch die Stockwerke bewegten.

"Das ist der einzige Fahrstuhl ohne Kamera", ihre Haare kitzelten an meinem Hals, während sie mich an sie heranzog und mir ins Ohr flüsterte. Ihre dunklen Augen leuchteten im grässlichen Licht des Fahrstuhl wie Bernsteine und an ihren Lippen hing ein so süßes Lächeln, dem ich nur mit Mühe widerstehen könnte.

"Wir müssen vorsichtig sein", erwiderte ich mit gesenkter Stimme. Meine Augen huschten über ihr Gesicht und versuchten herauszufinden, wie sie sich fühlte. Den ganzen Tag über war sie schon gestresst gewesen und ich wünschte, ich könnte ihr die Entspannung versprechen, die sie dringend nötig hatte. Sanft strich ich ihre Haare hinter ihr Ohr und küsste sie. Ihre roten Lippen schmeckten nach Sommer, der Lust vergangener Nächte und nach Vanille. Sanft löste ich mich wieder von ihr, der Fahrstuhl würde gleich ankommen.

"Den Rest hebe ich mir für heute Abend auf", flüsterte ich noch, bevor sich die Türen rasselnd öffneten und wir den Fahrstuhl verließen.

"Sie sind eine sehr engagierte Angestellte, Ms. Thorne, das muss ich Ihnen lassen", erwiderte Sarah, während sie ihren Blick senkte, um ihre geröteten Wangen zu verbergen. Ich freute mich, dass ich sie aufmuntern konnte und war gleichzeitig überrascht, mit welcher Intensität sie auf meinen Kuss reagierte. Entschlossen durchquerten wir die überfüllten Flure, meinen Mitarbeiterausweis steckte ich heimlich in die Innenseite meines Blazers. Normalerweise hatten Angestellte eine eigene Kantine in der Sperrzone und kamen nur äußerst selten offen kenntlich als Mitarbeiter in das Herzstück der Universität, die Main Hall. Aber ich war ja schließlich immer noch Studentin und hob mich deshalb höchstens durch meinen Blazer von den Anderen ab. Ich war seit dem Wochenende nicht mehr in meiner Wohnung gewesen und musste mich deshalb übergangsweise aus Sarahs Kleiderkollektion bedienen, die zwar durchaus meinem Style, nicht aber meiner Preisklasse entsprach. Das laute Gegacker und Gequassel der Studenten dröhnte in meinen Ohren und ich fühlte mich seltsam fremd in einer Umgebung, in der ich sonst in der Masse untergegangen war. Die Sonne fiel hell durch die hohen, antiken Bleiglasfenster, deren bunte Muster das Wappen der University of Harvard, sowie dessen weiße Inschrift "Veritas", Wahrheit, zeigten. An den großen Wänden verhallte die erdrückende Gesprächslautstärke und verfiel zu einem undefinierbaren Stimmgewirr, dass einschläfernd wirkte und mich jedes Mal an den Besuch eines Gottesdienstes erinnerte. Sarah steuerte zielstrebig auf den Tresen der Kantine zu. Aus dem Augenwinkel nahm ich wahr, wie einige Studenten ihr verstohlene Blicke zuwarfen und krampfhaft versuchten, ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen. Einige grüßten übermäßig freundlich, andere lächelten höflich. Wir blieben hinter der Schlange vor dem Tresen stehen und Sarah begann sogleich mit zusammengekniffenen Augen die Speisekarte zu studieren, die sich in Kreide geschrieben auf einer Aufstelltafel befand. Abwesend kramte sie ihre Brille aus der Tasche ihres Cardigans. Ein Strahlen breitete sich auf ihrem Gesicht aus, als sie die Karte nun ohne zusammengekniffene Augen entziffern konnte.

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