Kapitel 10

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Die folgenden Nächte brachten Ellie keinen Frieden. Zweimal kehrte sie im Schlaf zurück in den Wald, und jedes Mal war es, als würde sie in eine andere Dimension gezogen – der gleiche finstere, drückende Wald, und der gleiche kalte, erdige Boden unter ihren bloßen Füßen. Jedes Mal wachte sie mitten in der Nacht mit schmutzigen Füßen auf, verwirrt und schweißgebadet, und jedes Mal hatte Adrians Stimme, die in der Dunkelheit ihren Namen rief, sie in letzter Sekunde aus dem Traum gerissen und zurückgeholt. Jedes Erwachen fühlte sich bedrückender an als das letzte.

Beim vierten Mal, in der stillen, kühlen Dunkelheit ihrer schlafenden Gedanken, fand sie sich erneut im Wald wieder.

Ellie spürte die beklemmende Atmosphäre um sich herum wachsen, und in der Stille hallte jeder ihrer Schritte seltsam gedämpft. Plötzlich spürte sie eine Bewegung im Augenwinkel und wirbelte herum – ihre Tante stand da, mit einem bitteren, kalt durchdringenden Lächeln auf den Lippen. Die Gestalt wirkte durchscheinender als beim letzten Mal, fast als würde sie flimmern und flackern. Doch die Augen – die Augen glühten in einem gespenstischen Licht, erfüllt von einer unbändigen Wut. "Was willst du von mir?", wagte Ellie es endlich zu fragen, "Warum rufst du mich immer wieder?"

„Du hast hier nichts verloren", zischte ihre Tante, und ihre Stimme hallte durch den Wald, scharf und schrill.

"Warum bin ich dann hier?", fragte Ellie wütend.

"Du bist unwillkommen, Verräterin.", zischte ihre Tante.

Ellie schluckte schwer und versuchte, ihre Augen abzuwenden, doch sie konnte nicht. Ein Kloß bildete sich in ihrem Hals, und ihre Hände ballten sich in den Stoff ihres schwarzen Kleides. 

Ihre Tante blieb vor Ellie stehen und beugte sich so nah zu ihr herab, dass Ellie den eisigen Hauch ihres Atems auf ihrer Haut spüren konnte. Ihre Tante lachte kalt und abfällig, und die scharfen Kanten ihres Gesichts flimmerten in dem seltsamen Dämmerlicht des Waldes. 

Ellie spürte, wie eine panische Angst in ihr hochstieg, und sie versuchte, sich aus diesem Traum zu befreien, sich zu sagen, dass es nur ein Alptraum war. Aber die Kälte ihrer Tante und die unerbittliche Nähe ihres durchdringenden Blickes ließen den Traum echter erscheinen, als sie zugeben wollte.

„Was... willst du von mir?" flüsterte Ellie, ihre Stimme kaum mehr als ein Hauch.

„Ich? Du hast mich aufgesucht, kleine Hexe.", murmelte ihre Tante, und ihre Stimme war jetzt ein leises, gehässiges Flüstern, das durch den Wald kroch wie ein eisiger Wind. "Ich genieße es nur, dich zu quälen..."

Ellie wollte schreien, wollte weglaufen, doch sie konnte sich nicht bewegen. Dann begann ihre Tante erneut, sie zu umkreisen, ihre Augen glommen noch stärker, und mit jedem Schritt schien die Gestalt an Stärke zu gewinnen, während Ellie selbst das Gefühl hatte, dass etwas sie auslaugte, ihr Kraft entzog. Ihre Tante streckte eine eiskalte Hand aus und berührte Ellies Hals. Als würde ein eiskalter Wind ihren Hals abdrücken.


Wieder wurde Adrian aus dem Schlaf gerissen, und diesmal zögerte er keinen Moment. Ellies Schreie hallten schmerzerfüllt, gedämpft, aber voller Qual durch den Flur, als würde sie gegen etwas ankämpfen, das unerbittlich seine Krallen in sie schlug. Die Verzweiflung in ihrer Stimme, das Wimmern, das durch die Stille sickerte – es war kaum zu ertragen. Er sprang auf und rannte zur Tür, nur um erneut von der magischen Barriere zurückgeschleudert zu werden. Doch diesmal hielt ihn das nicht auf.

Er schloss die Augen, konzentrierte sich, und sammelte jede Kraft in sich, die er auftreiben konnte, ließ die Energie durch seinen Körper fließen. Mit einem Finger durchdrang er die Barriere, dann mit einem zweiten. Die Magie schien nachzugeben, und er nutzte den Moment: beide Hände drangen durch, und schließlich riss er die Barriere mit einem heftigen Ruck auseinander, als wäre sie aus zerbrechlichem Stoff.

Adrian stürmte in Ellies Zimmer. Im spärlichen Licht sah er sie auf ihrem Bett, in einem erbarmungswürdigen Zustand, die Hände an ihrem Hals, als würde sie sich selbst erdrosseln oder gegen etwas Unsichtbares kämpfen, was sie erdrosseln wollte.. Ihr Körper wand sich, als kämpfte sie gegen unsichtbare Fesseln, und ihre Atmung war kurz, schmerzhaft – ein Ausdruck puren Terrors.

„Wach auf, Hexe!", rief er und schüttelte sie sanft, versuchte, sie aus dem Albtraum zu reißen. Doch sie reagierte nicht. Ihr Kopf zuckte zur Seite, und der Kampf in ihren Muskeln wurde heftiger, ihre Finger gruben sich immer tiefer in ihre eigene Haut.

„Ellie!" Adrians Stimme wurde eindringlicher, seine eigene Besorgnis drang durch. Er beugte sich zu ihr, flüsterte leise, aber eindringlich: „Du musst dich wehren. Du hast die Macht, Hexe. Du bist mächtiger, du kannst es besiegen." Er hielt sie fester, seine Hände auf ihren Schultern, und hoffte, dass seine Worte sie erreichen würden.

Plötzlich keuchte sie laut auf, ein Schrei, der sich wie ein Schnitt durch die Stille zog, und ihre Augen rissen auf. Sie sah ihn an, ihre Brust hob und senkte sich, als ob sie gerade dem Ertrinken entronnen war. Ein Funke des Erkennens flackerte in ihren Augen auf, dann rannen Tränen über ihre Wangen, und ohne ein Wort ließ sie sich in seine Arme sinken. Ihre kleinen, zitternden Hände griffen nach ihm wie nach einem Anker, und sie lehnte sich an seine Brust, die Tränen strömten unaufhaltsam.

„Ist schon gut, Hexe", murmelte Adrian und strich ihr beruhigend über das Haar. Seine Stimme war weich, fast sanft, und er hielt sie so, als wäre sie ein kostbares, zerbrechliches Etwas. „Du hast es geschafft. Du bist frei." Er fuhr fort, ihr über das offene Haar zu streichen, versuchte, sie weiter zu beruhigen. „Du bist in Sicherheit. Am Anfang ist es erschreckend, aber du wirst es lernen, es zu beherrschen."

Ellies Körper gefror in seinen Händen, und sie blickte abrupt zu ihm hoch. Ihre Augen waren weit vor Schock. „Was hast du hier zu suchen?", fragte sie, ihre Stimme harsch und zittrig. „Wie konntest du die Barriere durchbrechen?"

Er zuckte beiläufig mit den Schultern, als wäre es die einfachste Sache der Welt. „Meine Kräfte haben sich anscheinend regeneriert", erklärte er, ohne den Ernst der Lage zu verlieren. „Das ist gerade nicht das Wichtigste." Er zeigte auf ihre blutigen Hände, die tiefe Eindrücke auf ihrem Hals hinterlassen hatten. „Du hast dich verletzt, Hexe. Deine Träume werden immer stärker."

Ellie runzelte die Stirn und blickte ihn misstrauisch an. „Was meintest du vorhin, als du sagtest, ich würde es lernen, zu ‚beherrschen'?" Die Aussage klang für sie nicht logisch, was er in ihrem Blick erkannte.

Adrian sah sie ruhig an, sein Blick war ernst. „Du hast eine verlorene Seele besucht", sagte er schlicht. „Habe ich recht?"

„Eine verlorene Seele?" Ihre Augen weiteten sich, und die Worte verließen ihre Lippen in einem kaum hörbaren Flüstern.

Er nickte und verschränkte die Arme. „Ja. Jemand, der hier auf der Erde verweilt, obwohl er längst die Pforte zum Jenseits hätte durchschreiten müssen." Sein Blick wurde prüfend. „Jemand, den du vielleicht kanntest?"

Ellie schloss für einen Moment die Augen, als ob sie die letzten Minuten noch einmal durchlebte, und ihr Gesicht verzog sich vor Furcht und Schmerz. Schließlich hob sie den Blick und sah ihn an, als suche sie nach einer Erklärung. „Woher weißt du das?", fragte sie, und in ihrer Stimme lag ein Hauch von Verzweiflung.

Adrian hielt inne, als hätte er für einen Moment gezögert, doch dann fuhr er ruhig fort. „Ich glaube... du hast einen Teil meiner Energie adaptiert, als du dich an mir verbrannt hast." Ein Hauch von Bedauern schlich sich in seine Stimme, als er hinzufügte: „Es tut mir leid."

Bound by Dark Vows - Umarmung der FinsternisWhere stories live. Discover now