22. Kapitel

5.8K 245 30
                                    

Das Krankenhaus war hell erleuchtet. Das Gebäude mit der weißen Fassade und den vielen Fenstern, wirkte nicht gerade beruhigend auf mich. Eher beängstigend und bedrohend. In diesem Gebäude starben Menschen, kämpften um ihr Leben. Gewannen oder verloren diesen Kampf.

Schon immer hatte ich Respekt vor meiner Mutter gehabt, die tagtäglich in das Krankenhaus ging und dort arbeitete. Jeden Tag sah sie das Leid von fremden Menschen, half ihnen bei Sachen, die für jeden anderen selbstverständlich waren. Und dennoch war diese Arbeit und Hilfe manchmal nicht genug. Manche Menschen starben trotzdem. Und manche Angehörigen drehten deswegen durch.

Drew war das beste Beispiel dafür. Leider hatte ich seinen Hass abbekommen, obwohl ich nicht dafür verantwortlich gewesen war. Das war niemand gewesen. Nicht meine Mutter, nicht das Krankenhaus und auch nicht die Medizin. Für manche Menschen kam jede Hilfe zu spät. So traurig das auch für die Hinterbliebenen war, es ließ sich nicht ändern.

Mike hielt den Wagen vor den großen Eingangstüren an. Mit einem Ruck zog er die Handbremse nach oben und in meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß. Alles in mir sträubte sich dagegen, dieses Krankenhaus zu betreten. Auch wenn ich dort Antworten bekommen würde. Antworten, die ich dringend brauchte. Aber es waren Antworten, die ich nicht wissen wollte. Die alles in meinem Leben zerstören könnten.

Wer würde schon ein Kind groß ziehen und austragen wollen, was von einem Psychopathen war? Der sich mit Gewalt das genommen hatte, was er wollte?

Traurig presste ich meine Lippen zusammen. Auf einmal saß ich gefühlt nicht mehr in dem sicheren Auto, sondern stand in Drews Villa. Sah die hohen Decken, die großen Fenster, die mir die Freiheit zeigte, die so unerreichbar weit weg war. Obwohl nur eine Glasscheibe mich davon trennte. Hinter mir konnte ich Schritte hören. Schwere, kraftvolle Schritte. Es waren die von Drew.

Er betrat das Zimmer, in dem ich stand. Mit einem Klacken fiel die Tür hinter ihm ins Schloss. Sofort fühlte ich mich noch mehr eingesperrt. Die Wände kamen immer näher, dieses Gefühl der Enge raubte mir die Luft zum Atmen. Verzweifelt schaute ich weiter durch das Fenster nach draußen. Sah, wie der Wind durch die Blätter eines großen Baumes fuhr. Wie die Blätter raschelten und ein Vogel auf einem der Äste landete. Er schüttelte sich und vereinzelte kleine Federn fielen aus seinem Gefieder. Er war frei. Er konnte fliegen, wohin er wollte. Wie gerne wäre ich in diesem Moment dieser kleine Vogel.

Doch stattdessen war ich in diesem Zimmer, mit Drew zusammen. Dieser war mittlerweile bei mir angekommen. Ohne etwas zu sagen, drehte er mich am Arm zu sich herum. Ich bemühte mich, möglichst flach zu atmen, um seinen ekeligen Geruch nicht einzuatmen. Sonst würde mir nur wieder schlecht werden.

Ein süffisantes Grinsen breitete sich auf seinem Gesicht aus.
Innerlich flüchtete ich mich in schöne Gedanken, war an einem anderen Ort. Stellte mir vor, dieser Vogel zu sein. Frei und unbeschwert durch die Luft zu fliegen, während Drew mir die Hose von den Beinen zog und mir voller Ungeduld die Unterhose zerriss. Fest biss ich die Zähne zusammen, versuchte mich noch weiter in meine Gedanken zurück zu ziehen. Versuchte zu ignorieren, wie er mich auf die Fensterbank setzte und dann aber wieder nah an sich heranzog. Angestrengt kniff ich meine Augen zusammen. Trotz der anderen Gedanken spürte ich seine Berührungen, den Schmerz, mit dem er sich das nahm, weswegen er in dieses Zimmer gekommen war.

Ich konnte nicht ganz abschalten. Meine Fingerspitzen waren eiskalt, vereinzelte Tränen verließen meine Augen und liefen meine Wange herunter.

"Mary?", fragte eine Stimme und ich riss meine Augen auf. Vor mir tauchte ein Gesicht auf, welches aber nicht zu Drew gehörte. Die grünen Augen, die mich sanft aber besorgt musterten, gehörten zu jemand anderem. Genauso wie der Drei-Tage-Bart, der sein Gesicht zierte und der ihn wirklich noch besser aussehen ließ als sonst schon. "Was ist los?", hakte Tilo nach, der meine gedankliche Abwesenheit bemerkt hatte.

Sacrifice - Don't touch herWhere stories live. Discover now