achtens

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Mit dem Unfall hatte sich alles verändert. Ein neues Semester war angebrochen, und sie traf sich häufig mit anderen Jungs, fast als würde sie Kontakt mit Gale um jeden Preis vermeiden wollen. Falls sie sich irgendwo begegneten, wurde sie meist rot und huschte unter irgendeinem erfundenen Vorwand davon - ganz so, wie es eben nicht ihre Art war.

Trotzdem sah er sie überall, dachte an sie. Und mit ihr verbunden an das große Geheimnis, das er so lange schon mit sich herumgetragen hatte. Die Luft war kühler geworden, herbstlicher Wind zog auf, die Blätter auf den Gehwegen besprenkelten die Stadt: Grün, Rot, Braun, Orange.

Unzählige Male am Tag durchkreuzte sie seine Gedanken, sehnsüchtig sah er ihr langes Haar, ihre sehnigen, nackten Beine, die zarten Fußknöcheln, dann das Lachen, den Kopf in den Nacken geworfen, laut, auffällig. Aber er sah auch ihre blanke Wut, die sie manchmal auf ihn hatte und ihren absoluten Widerwillen, seine Liebesbekundungen ernst zu nehmen.

Die bitteren Gedanken abschüttelnd, sog er die kalte Luft ein, sodass er sie noch eisig in seinen ventilieren Lungenflügeln spürte. Sie schmeckte würzig und nach Neuanfängen. Gale fühlte sich mutiger und schnelllebiger als sonst, er war voller Tatendrang und Entschlossenheit.

Seit einer Weile fühlte er sich wie neu geerdet. In einem Prozess der Selbsterfindung. er konnte mit sich und seinem Leben anstellen, was er wollte. Und genau das tat er.

Mit der ersten Morgenröte stieg er aus dem Bett, er las Bücher, wenn auch nicht allzu viele, und kochte sich selbst Essen, ganz ohne Mikrowelle. An den Wochenenden sagte er seinen Kumpels ab, wenn sie "um die Häuser zogen", weil ihm momentan nichts an bedeutungslosen Flirts mit Mädchen lag, dafür traf er alte Freunde, besuchte seine Mutter und lernte für sein bisher immer recht vernachlässigtes Studium. Er genoss die Tage in der herbstlichen Sonne und die neu gewonnene Energie - irgendwie.

Wie es der Zufall wollte, war es ein besonders schöner Tag, als sie ihn anrief.

"Hi?", fragte sie etwas außer Atem in den Hörer.

"Hi", antwortete Gale einfältig, dessen Herzschlag sich binnen Sekunden verdoppelt hatte.

Zögern lag in ihrer Stimme. "Kann ich vorbeikommen? Wir haben uns lange nicht mehr gesehen..."

"Du kannst immer kommen, sogar unangekündigt", murmelte er mit einem verstohlenen Grinsen, das man sicher durch die Leitung hindurch hören konnte.


Dieses Grinsen stahl sich keine Sekunde von seinem Gesicht, bis sie schließlich vor seiner Tür stand, nach Herbst duftend und mit geröteten Wangen.

Er lud sie ein, sich auf sein Sofa zu setzen, was sie wie selbstverständlich tat und nach der Packung Kekse griff, die er auf dem Boden liegengelassen hatte. "Dir geht es richtig gut, oder?", formten krümelige Lippen mit einem verschmitzten Lächeln, "Strahlst die ganze Zeit von einem Ohr zum anderen und gehst mir nur noch aus dem Weg."

"Ich geh dir doch nicht aus dem Weg", meinte Gale erstaunt, "Du gehst mir aus dem Weg. Aber total!"

"Naja, seit dem Vorfall mit dem Taxi... ich weiß nicht. Du bist so anders."

"Nein, ich bin genau wie immer, ich-", begann er, doch sie schnitt ihm das Wort ab.

"Gale, warte, das meine ich nicht. Du bist nur plötzlich nicht mehr dieser planlose Junge, du bist groß und hast Vorsätze und du siehst gut aus, du siehst verdammt gut aus. Ich kann nicht glauben, dass es immer noch du bist, der Gale, mein Gale. Ich habe so Gefallen daran gefunden, an dem Mann Gale.", sie geriet ins Wanken, stockte, verstummte.

"Ich liebe dich." Es war egal, ob er es auf einer schmuddeligen Party sagt, bei einem romantischen Date, in einem Brief. Er sagt es mit fester Stimme, ohne ein lächerliches "Ich glaube", er sagt es aus seiner tiefsten Überzeugung.

Er sah zu, wie ihr verblüfftes Gesicht sich zu einem wunderschönes Lächeln verzog, weil er es nicht sagte, als wäre es eine Last für ihn es zuzugeben, nein, weil er so unfassbar stolz und verliebt war. weil er alles an ihr liebte, er liebte ihr hübsches Gesicht, ihren Verstand, der immer auf Hochtouren arbeitete, sogar ihre kleinen Macken. Er brauchte keine lange Liebeserklärung, er musste seine Liebe nicht an irgendetwas festmachen oder messen, denn sie war unendlich und überall und so, so groß.

Einen Moment sahen sich die beiden in die Augen, fasziniert voneinander, elektrisiert. Seine Chancen, dass sie "Ich liebe dich auch" sagen würde, standen heute ausgesprochen gut.

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⏰ Last updated: Jul 31, 2015 ⏰

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acht wege, ich liebe dich zu sagenWhere stories live. Discover now