sechstens

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Wütend warf er das zusammengeknüllte Blatt Papier gegen die Wand, wo es abprallte, und ihm in den Schoß fiel. "Das reicht", knurrte er, wischte sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Stirn und zückte erneut den Füllfederhalter, ein altes Modell, von seinem Vater.

Wieder begann er zu schreiben, mit ungeschickter, vor allem ungeübter kursiver Handschrift.

Meine Liebe,

stand da. Und obwohl es im buchstäblichsten und wahrsten Sinne des Wortes stimmte, hörte es sich nicht richtig an. Nichts klang auch nur annähernd würdig ihrer unnahbaren, wenn auch ein wenig unkonventionellen Schönheit.

Dein Haar reichte nur knapp bis zu deinen Schultern als wir uns zum ersten Mal begegneten. WIr waren jung und sicherlich dachte keiner von uns beiden daran, dass wir es bis in unsere Zwanziger miteinander auhalten würden, denn, ganz unter uns, ich war ein unausstehlicher Kotzbrocken und du eine dämliche Ziege.

Er betrachtete die Worte aufs Neue und schüttelte den Kopf. Sie zu beschimpfen war wohl nicht die klügste Methode, ihr eine Liebeserklärung zu machen. Auch wenn es die Wahrheit sein mochte. Er riss das Blatt aus und zerfetzte es regelrecht, bis nur noch kleine, erbärmliche Schnipselchen zu Boden segelten.

Ein neuer Anlauf wurde gestartet. Der siebte oder achte.

Meine Liebe,

wie kann ich das, was in meinem Kopf vorgeht nur beschreiben? Soll ich das überhaupt? Ist es nur Zeitverschwendung? Du bist unglaublich und du weißt das auch. Männer liegen dir zu Füßen, sie sagen es dir oft genug, Du bist nicht wie Models in Hochglanzmagazinen, du hast Ecken und Kanten, an denen man sich gehörig verletzen kann, aber ich für meinen Teil nehme eine kleine Wunde gern mal in Kauf, solange ich dafür in deiner Nähe sein kann.

Damit war er ausgesprochen zufrieden. Fast wie in einem überbewerteten Kitschfilm. Das würde ich bestimmt gefallen. Seine vorderen Schneidezähne gruben sich in das wunde, blutende Fleisch seiner Unterlippe und er schrieb vorsichtig weiter. Ganz behutsam wählte er jedes Wort einzeln aus und legte es auf dem Papier ab, als wäre es heilig. 

Wir sind ziemlich jung. Naja, du bist schon alt, ich hingegen befinde mich noch in der Blüte meiner Jugend -

Dass er vier Monate jünger als sie war, war nicht nur immer schon beliebtes Gesprächsthema zwischen den beiden gewesen, sondern auch ein Mittel, sich gegenseitig aufzuziehen. Vor sich sah er ihr spöttisches Lächeln, während sie diese Zeilen las, ihre gerunzelte Stirn.

Nun, Spaß beiseite. Ich bin dir vielleicht nicht alt genug, nicht reif genug, ich habe keinen festen Job, studiere, bin ein Chaot, ein Trottel, ich bin bei Weitem nicht das, was du verdient hast. Denn du, du bist atemberaubend, du schleichst dich in die Herzen ein und verlässt sie niemals, es ist, als hättest du dich dort eingenistet, da ist einfach kein Platz mehr für jemand anderen, nur dich dich dich dich. Du bist so klug, so humorvoll, ich mag es, wenn du betruken bist, und allen Anstand über Bord wirfst, ich mag es, wenn du nüchtern bist, und so edel und damenhaft bleibst, wie es einem kleinen Mädchen Mitte zwanzig eben möglich ist.

Nervös fächelte er sich Luft zu. War das zu dick aufgetragen? Er war sich nicht sicher. Wenn es um sie ging, konnte er sich seiner Sache nie vollkommen sicher sein.

Von dem Moment an, in dem ich dich zum ersten Mal sah, wusste ich, dass du besonders bist. Ich habe dir immer an den Zöpfen gezogen, wusstest du denn nicht, dass das bedeutet, dass ich dich liebte? So gut es ein Kinderherz eben kann? Wir waren unzertrennlich, meine Güte, wir haben alles gemeinsam durchlebt. Bei deinem ersten Liebeskummer stand ich dir bei, obwohl ich dir nur entgegen schreien wollte, wie viel besser ich dich geliebt hätte. Deinen dritten festen Freund habe ich verprügelt, als ich erfahren habe, dass er dich hintergangen hat. Für deine Abschlussprüfung habe ich mit dir gelernt, habe dir die verdammten Vektorenrechnungen wieder und wieder erklärt, danach habe ich mit dir gefeiert, als du mit Bestnoten bestanden hattest. Und zum Abschlussball gingst du selbstverständlich mit einem der coolsten Typen des Jahrgangs, nicht mit mir. Was war ich erleichtert, als ich erfuhr, dass wir die gleiche Uni besuchen würden. Irgendwie kamst du immer zu mir zurück. Niemals hätte ich mich gern von dir getrennt. Du wurdest schöner, selbstbewusster, wurdest eine Frau, naja beinahe. Ein Teil von dir ist noch immer leichtsinnig und naiv, ein Teil von dir ist ein Kind geblieben. Der leichtsinnige Teil, der blühte richtig auf! Wie viele Männer du wohl nach Partys oder langen Nächten im Club mit zu dir nach Hause genommen hast? Jedenfalls war es kein einziges Mal ich. Wenn ich dich schon einmal begleiten durfte, dann nur, weil du meintest, du würdest heute Nacht kein Auge zumachen, wenn du allein einschlafen musstest. Während du schliefst habe ich natürlich daran gedacht, dich zu küssen, dich zu berühren. Aber ich habe es nie getan. Im Vergleich zu dir denke ich ziemlich rational, neige dazu, alles zu überdenken, regelrecht zu zerdenken, bis meine Gedanken zerbröseln und beim kleinsten Windstöß davongetragen werden. Unsere Freundschaft war und ist zu viel wert, als dass ich sie einfach für einen Kuss, eine Berührung, ein einziges Mal Sex wegwerfen würde. Mist, jetzt steht in diesem Brief Sex drin, genau das wollte ich vermeiden.

Er ließ es stehen. Es war ein Teil von ihm und dem, was in ihm vorging. Sollte sie dies tatsächlich jemals zu gesicht bekommen, würde sie es schon verstehen.

Seit Jahren leide ich still, halte den Mund, auch wenn du die süßeste Verlockung und zugleich die größte Sünde bist. Ich liebe dich. Ich liebe dich. Hörst du es? Du willst es nciht wahrhaben, oder? Ich. Liebe. Dich. Nur dich, einzig und allein dich. Ich liebe dich. Jetzt lässt du das Papier sinken und starrst wütend auf einen Punkt in der Ferne, ich weiß es, ich kenne dich, ich liebe dich. Mit ein bisschen Glück wirst du erkennen, dass du es auch tust.

Seine müden, trockenen Augen überflogen das Ganze noch einmal. Wieder zerriss er das Blatt. Einmal. Noch einmal. Vier Teile. Achtlos ließ er sie am Schreibtisch zurück.

Am nächsten Morgen riss ihn ein schrilles Klingeln aus dem Schlaf. Blindlings schlurfte er auf den Gang, fuhr sich durchs Haar und riss die massive Eisentür auf. Wer vor ihm stand, hatte er zwar bereits geahnt, doch als sein Blick dann tatsächlich auf sie fiel, fehlten ihm die Worte. Ihre Nase war rot und die Auegn blutunterlaufen. Wenn ihn nicht alles täuschte, hatte sie geweint. Und klug wie er war, stellte er keine Fragen, sondern gab ihr mit einem diskreten Schritt zur Seite zu verstehen, dass sie hineinkommen konnte.

"Es tut mir leid, ich wusste nicht, wo ich sonst hingehen soll. Gerade wächst mir alles über den Kopf, ich schaff das nicht me-he-heeehr", bei dem letzten Wort verlor sie die Beherrschung und sank an seine Brust, wo er sie fest an sich drückte.

"Setz dich einfach... aufs Sofa, ich mach dir schnell einen Tee, dann reden wir, ja?", murmelte er fürsorglich und schob sie sanft von sich weg. Die Tränen kullerten nur so über ihr hübsches Gesicht und es zerriss ihn förmlich, aber er wandte sich ab und kochte frisches Wasser auf. Sie mochte ihren Tee schwarz, mit einem winzigen Löffel Zucker und ordentlich Milch.

Ungeschickt balancierte er zwei Teetassen in seinen Händen und öffnete mit seinem Ellbogen die Tür zum Wohnzimmer, ohne etwas zu verschütten. Was ihn dort erwartete, ließ ihm jedoch das Herz in die Hose rutschen.

"Gale?", fragte sie mit brüchiger Stimme, "Was ist das?" In ihren Händen hielt sie -wie sollte es auch anders sein- eine ganze Reihe von zerknüllten Papierbögen und den zerissenen Brief von gestern Abend.

"Ich-", begann er, och brach abrupt ab. Wie sollte er ihr das schon erklären?

"Du was? Hm? Du... du... ich... das ist ganz klar über mich und ich weiß nicht, was ich sagen soll, ich dachte, so etwas stünde außer Frage, wir verlieben uns doch nicht ineinander! Jedes Mädchen ist scharf auf dich, alle sind hinter dir her, du schläfst mit zehn Frauen in der Woche, du kannst mich nicht lieben, ich werde für dich nicht bloß eine von vielen oder irgendeine beliebige Nummer sein!", aufgebracht fuchtelte sie mit den Armen in der Luft herum und warf das papier zu Boden.

Erneut brach sie in Tränen aus. "Ich hasse... ich hasse dich, wie konntest du alles ruinieren?" Mit diesen Worten schubste sie ihn aus dem Türrahmen, den er wohlweislich blockiert hatte und floh völlig aufgelöst aus seinem Apartment.

"Warte kurz, ich-", rief er ihr nach, doch sie schnitt ihm das Wort ab, um ihm Beschimpfungen an den Kopf zu knallen.

"Du Arschloch!", schrie sie noch, bevor sie auf seinem Blickfeld verschwand.

Er ging ihr nicht hinterher, er kannte sie zu gut, um zu wissen, dass das nur noch mehr Ärger verursachen würde.

Sie wusste es. Sie wusste, dass er sie innigst liebte. Die Katze war aus dem Sack. Und wenn das ihre Reaktion war, dann standen die Chancen wohl schlecht, dass sie ähnliches für ihn empfand.

Langsam schloss er die Tür und kauerte sich auf dem Wohnzimmerboden nieder. Gale sammelte Papier auf und entsorgte es dort, wo es von Anfang an hingehört hatte. In den Müll. Vielleicht rollte eine einsame Träne seine Wange hinunter. Jedenfalls war er stolz genug, sie hastig wegzuwischen.

acht wege, ich liebe dich zu sagenWhere stories live. Discover now