6.Kapitel

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»Guten Morgen, Elaine. Ich habe uns Frühstück besorgt.«
Ich lächelte bei seinem Hereinkommen. Er benahm sich in meiner Gegenwart gar nicht wie ein Prinz oder Adliger, nur wie ein ehrenhafter, freundlicher Mann. Er machte sich selbst Essen oder war viel selbstständiger als es von einem Mann mit viel Geld erwartet wurde.
»Guten Morgen.« Ich warf ihm einen dankbaren Blick zu und wir setzten uns gemeinsam an den langen Tisch in dem Raum neben seinem Schlafzimmer. Die letzten zwei Tage hatte ich hier verbracht. Und sie waren, obwohl ich wusste sie wären nicht von Dauer gewesen und obwohl ich in Gefahr schwebte, schöner und angenehmer durch William's Anwesenheit. Ich schätzte ihn sehr, vielleicht schon zu sehr. Doch ich würde sicherlich nicht zulassen, dass Gefühle diese Verbundenheit zwischen mir und Brianna und mir und William dadurch leiden müssten. Am Hofe hatte jeder bemerkt, dass ich weg war und es gab schon Gerede. William im hier und jetzt schaute überall hin nur nicht zu mir.
»Was ist los?« fragte ich ihn besorgt.
»Die Wache, die ich bezahlt habe. Sie hat meinem Vater alles erzählt über dich. Du musst heute Nacht noch aufbrechen, ich kann nicht mitkommen. Sonst würden alle wissen, dass ich oder eher königliches Blut mit gesuchten Verbrechern zusammenarbeitet. Ich halte dich nicht für eine. Eine Verbrecherin. So nennen sie dich nur.«
Mein Gesicht verfinsterte sich.
Es war klar das die Wache irgendwann etwas ausplaudern würde, aber ich hätte es besser gefunden,wenn es später gewesen wäre. Und dass sie mich als Verbrecherin bezeichneten... Ich konnte nichts dagegen tun. Sie würden mir nicht zuhören, sondern nur sofort urteilen und töten. Aber eigentlich war ich eine Verbrecherin ohne ein begangenes Verbrechen außer der Selbstverteidigung. In den Augen des königlichen Hofes war ich eine widerspenstige Frau, die Wachen verletzt und unkontrollierbar war.
»Hast du etwas über ... mich herausgefunden?« fragte ich hoffnungsvoll. Ich hatte ihn gebeten, geheime Nachforschungen über mich anzustellen.
»Ja. Ich war heute bei Papst Candro und er hat mir etwas von seinen Schriften gegeben.« Er stand auf und ging in den anderen Raum. Kurz drauf tauchte er mit einem Pergament wieder. Er setzte sich zu mir und breitete das Papier vor uns aus. Dann las er vor: »Ein Mädchen, halb Drache, halb Mensch wird geboren werden.
100 Jahre nach der Schlacht der Ungeheuer wird sie hinter den Mauern des Feindes aufwachsen.
Beschenkt mit Gaben, die alle Mächte übertreffen. Licht aber auch Dunkelheit haften an ihnen.
Am Jahrestag der Schlacht erwachen die Gaben mit ihrem neuen Alter.«
»Wie alt ist die Prophezeiung?«
»Sie muss kurz nach dem Sieg über die Drachen entstanden sein.«
Ich betrachtete das Papier noch einmal genauer. Die Malereien, die sich um die Worte schlängelten, zeigten ein Bild. Erst jetzt erkannte ich es. Es war ein goldener Drache, der zu dem hellbraunen Papierton passte. Mein Blick flog über die Wörter und schließlich landete ich am Ende der Schrift. Meine Hand fuhr über den unteren Rand des Pergaments. Sie war ungerade und hatte Risse. »Es ist ein Teil abgerissen worden«, sprach ich meine Feststellung laut aus.
Daraufhin folgte nur Schweigen. Deswegen wollte der König auch alle Mädchen, die am Jahrestag geboren waren, bei sich haben. Er wollte die Richtige ausmachen und töten. Ich war die, die er suchte. Er wollte mich töten.

Nachdem ich mein Essen gegessen hatte, ging ich in meinem Nachtgewand in das Gemach nebenan. Neben der Wanne stand ein großer Eimer voller, heißem Wasser.Ich packte ihn am Griff und schüttete den Inhalt in die große Wanne. Danach tat ich wenig Seife rein, dann zog ich meine Sachen aus und stieg in die Wanne. William konnte nicht reinkommen, weil er Proviant und andere wichtige Sachen für mich besorgte.
Das hier war wahrscheinlich mein letztes, richtiges Bad. Und bevor ich mich wusch, genoss ich erst einmal die Stille und dachte über meine Zukunft und das was passiert war, nach.
Was für Gaben würde ich noch bekommen? Konnte ich heute Abend erfolgreich entkommen?
Und wenn es einen Kampf geben würde, wie sollte ich mich wehren?
Diese Kraft trat nur das eine mal bei der Wache auf und danach nicht mehr, sosehr ich mich auch angestrengt hatte.

Lange Zeit später betrachtete ich mich staunend in meiner Reitkleidung. William ließ sie für mich schneidern.Da wir beide wussten, dass ich irgendwann 'verschwinden' müsste.
Die braunen Lederstiefel gingen mir bis zu meinen Knien und der Stoff mit dem Leder zusammen, der abwechselnd an meiner Hose, meinem Umhang und meinem Oberteil zu sehen war, schmiegte sich elegant an meine Haut.
»Und?« fragte William durch die Stubentür hindurch.
»Es ist wunderschön. Danke William.« Ich öffnete die Tür und trat wieder in Williams Schlafgemach.
Als William mich ansah, blieb sein Mund offen stehen und ich lächelte kaum merklich.
»Ich wusste nicht, dass Frauen auch so gut In Reitkleidung aussehen können,« flüsterte er überwältigt und ein Schmunzeln überkam mein Gesicht.
Wieder gefasst sprach er weiter:
»Die Sonne geht gleich unter. Die Stute für dich ist das schnellste hier im Lande und ich hab auch schon Proviant in die Satteltasche gepackt. Das Pferd steht hinten bei den Ställen, am Besten nimmst du das hier auch mit.« Er streckte mir seine Hand entgegen, in der ein kleiner Silberdolch lag. Der Griff war mit verschnörkelten Mustern versehen und ich steckte ihn an meinen
schwarzen Gürtel.
»Danke für alles, William. Ohne dich hätte ich es nicht geschafft und du bist so ein treuer Verbündeter, einfach... danke,« sagte ich dankbar aber auch traurig, da ich wusste, dass das nun der Abschied war.
William antwortete nicht, sondern kam einen Schritt näher. So nah wie in dem Moment war ich ihm noch nie gewesen und mir schien seine Nähe Herzprobleme zu bereiten. Denn sofort hörte ich mein Herz laut und schnell klopfen. Langsam und vorsichtig legte er seine Hand an meine Wange, die nun immer wärmer zu werden schien. Unser Blickkontakt schien unsichtbare Elektrizität hervorrufen und Blitze schnellten da herum, wo wir uns berührten oder gefährlich nah kamen. Meine smaragdgrünen Augen verloren sich in seinen dunkelgrauen Augen, bestehend aus einem Wirbelsturm, der nicht zu kontrollieren war. In einer angenehmen Geschwindigkeit näherte er sich meinem Mund und nachdem sich seine Augen geschlossen hatte, machte ich es ihm nach und Sekunden später lagen seine Lippen auf meinen. Weich und warm. Noch nie war ich mit solcher Zärtlichkeit und solchen Gefühlen beschenkt worden. William legte nun seine anderen Arm um meine Taille und ich schmiegte mich näher na ihn. Noch eine Weile genoss ich dieses Gefühl von Geborgenheit, löste mich dann aber aus seinen Armen, auch wenn alles in mir nach seiner Wärme und seinen Berührungen schrie. William legte seine Stirn an meine.
»Eigentlich will ich dich jetzt erst recht nicht gehen lassen, doch ich muss,« hauchte er und stellte sich nun aufrecht wie ich hin.
Etwas atemlos flüsterte ich:
»Ich will auch nicht gehen.«
Ich bewegte mich in Richtung Tür. Ich wollte, dass er mir versprach, dass wir uns wiedersahen, dass das nicht schon das Ende von uns gewesen war, doch ich verstand, dass wenn wir beide noch zu viel sagten, einer den anderen überredete zu bleiben und das wäre für uns beide schlecht.
»Tschüss.« Sein Gesichtsausdruck sollte anscheinend steinhart wirken. Gefühllos. Doch ich konnte nur seine Trauer sehen.
»Tschüss,« erwiderte ich und ging in den langen, breiten Flur.
Die Tür fiel ins Schloss und ich spürte noch einen Moment seinen Blick auf mir. Nun trennten uns bereits schon Länder, durch die ich fliegen würde. Ich versuchte so lautlos wie möglich die Gänge entlangzuschleichen. Als ich bei den Pferdeställen ankam, hörte ich ein Pferd wiehern. Ich folgte dem Geräusch und ging hinter einen der Ställe. Da stand ein komplett weißes Pferd, angebunden an einer der Holzpfähle.
Auf dem Rücken des Pferdes war schon ein Sattel dran befestigt und das Zaumzeug lag schon auf dem Kopf des Pferdes.
Ich beruhigte das Pferd leise und sah dann in den Satteltaschen nach, die mit Essen nur so vollgestopft war. In der rechten Satteltasche fand ich einen kleinen Brief:
"Elaine,
Die Stute heißt Smoke und ich hoffe das ihr euch beide versteht. Eine gute Reise und viel Glück."
Den Zettel steckte ich wieder zurück in die Tasche und dann stieg ich leichtfüßig auf das große Pferd drauf.
»Na komm, Smoke.« Ich gab ihr einen leichten Tritt gegen den Bauch und sie setzte sich sofort in Bewegung.
Hinter mir hörte ich plötzlich Rufe.
Ein Blick nach hinten und ich sah wir mehrere Wachen hinter mir auf ihren Pferden hergallopierten.
»Zeig was du kannst!«
Smoke wurde schneller und schneller und ich setzte mich eilig breitbeinig auf ihren Rücken. Die Rufe wurden immer leiser und leiser und irgendwann waren sie ganz verstummt und ich vernahm nur die Stille des Waldes.

Die Augen des Drachen - Erwacht (in Überarbeitung) Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt