Kapitel 4

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Mulmig lasse ich seine warme Hand wieder los. Seine Grübchen weichen nicht aus seinem Gesicht, bilden Krater in seiner Haut. Seine Lippen sehen weich aus.

Stop.
So darf ich nicht denken.
Es ist falsch.

»W-Wieso bist du nicht mit deinem Auto, sondern mit Bus?«, wechsle ich fix das Thema und sehe von ihm weg. Seine blauen Augen fangen an mich nervös zu machen.

»Regen ist ziemlich unschön zum Autofahren.«, sagt er, »Und so lerne ich eventuell neue Leute kennen, wie dich.« Ich muss nicht einmal zu ihm sehen, um zu wissen, dass er ein Lächeln in seinem Gesicht hat.

»Weißt du«, antworte ich vorsichtig und zaghaft, »ich bin nicht die Art von Mensch, die gerne andere Leute kennenlernt ... ich meide sie eher grob.« und schließe meinen Mund wieder.

»Würde dir aber gut tun.«, sagt seine tiefe Stimme, meine Laune sinkt noch weiter. Ich seufze auf, die Regentropfen an der Fensterscheibe wirken auf ein mal so ultra interessant.

Ich brauche mir von ihm nichts sagen lassen.
Er brauch keine Moralapostel spielen.
Ich bin erwachsen genug, um für mich selber zu entscheiden.
Was bringt ihn immer wieder dazu, mir Eine mitzugeben?

»Wann verstehst du endlich, dass ich Menschen nicht ausstehen kann? Weder dich, noch Mary, noch sonst irgendwen von diesem Planeten. Nicht einmal meinen Vater kann ich wirklich ausstehen ...«, wende ich in diese Unterhaltung ein, schaue ihn kurz an. Er sieht die ganze Zeit zu mir. Er weicht nicht ab.
Seine Augen verschlucken mich.

»Was ist mit deiner Mutter? Kannst du die auch nicht leiden? Immerhin ist sie deine Mut-«

»Hör auf von meiner Mutter zu sprechen, bitte.«, flehe ich; halte ihm meine Hand entgegen, um seinen Mund zu ergreifen, »Ich rede N I E über sie. N I E, und das wird auch so bleiben. Bis in alle Ewigkeit. Bis ich sterbe, und auf meinem Grabstein Schwieg in Stille stehen wird.« Er nickt leicht, ich lasse ab.

»Du bist wirklich eigenartig.«, sagt er dann nach einer halben Ewigkeit, in der Richard etliche Straßen entlang gefahren ist, und der Regen die Straßen strömt. Als würde der Himmel weinen.

»Danke?« Wieder eher eine Frage, als eine Antwort, aber es muss reichen, denke ich.

»Nein, also, ich meine damit, dass du gut-eigenartig bist. Du bist eben anders als andere Mädchen, die ich bisher kennengelernt hab. Und ich mag dich ... irgendwie. Du bist mir sympathisch.«, gesteht er mir offen. Seine Augen kneifen sich zusammen, er legt seinen Kopf in den Nacken und lacht. »Du hättest deinen Gesichtsausdruck sehen müssen!«, wirft er mir dann vor.

Ich runzle meine Stirn, sehe Richard in die Einfahrt der Schule einbiegen. Seine Hand hat meine noch immer umschlossen, bis ich die meine hinaus ziehe, da ich mir seine Worte nochmals durch den Kopf gehen lasse. Er erhebt sich von seinem Sitz, streckt mir nun wieder seine Hand hin und will mir auf helfen. Misstrauisch beäuge ich ihn wieder.

Es ist schön zu hören, für eine Person sympathisch zu sein. Gemocht zu werden von jemandem, den man noch nicht lange kennt.

Möchte ich überhaupt von ihm gemocht werden?

»Ich sollte dir fremd und abneigend sein.«, sage ich zu ihm, als wir gemeinsam aus dem Bus stolpern und ich fast zu Boden gefallen wäre, hätte er mich nicht rechtzeitig festgehalten. Wir werden von Schülern angestarrt. Von fast allen an der Haltestelle unserer Schule.
»Also«, ich richte meine Haare und schultere meine Tasche neu auf, »Neue Leute kennenlernen? Neu auf der Schule, im Ort, oder einfach nur freundelos?«

Wir gehen nebeneinander her. Der große Schulflur bietet genug Platz für uns beide, oder eher für unsere Egos. Mir fallen seine Tattoos nun besonders auf, durch das schwache Sonnenlicht, das in den Gang scheint. Die Tinte in seinem Gesicht, an seinem Hals und an den Händen und Armen. Er sieht aus wie ein großes Kunstwerk, was ich mag. Der Gedanke lässt mich etwas lächeln.

Mystery | Taddl Where stories live. Discover now