Kapitel 5

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Boden tu dich auf und verschling mich! War das alles gerade wirklich passiert? Wieso hatte ausgerechnet Finn einen meiner Panikanfälle mitkriegen müssen? Mir war das alles so unglaublich peinlich! Ich konnte ihm nicht in die Augen sehen, was musste er jetzt bloß über mich denken?

„Gehts dir gut?", fragte er besorgt.

„Ja", flüsterte ich beschämt. „Danke, dass du dich um mich gekümmert hast", fügte ich so leise hinzu, dass ich nicht sicher war, ob er es gehört hatte. Wage konnte ich mich nämlich daran erinnern, wie er mich von den anderen weggeführt hatte.

„Aber, dass war doch selbstverständlich", meinte er.

Vorsichtig linste ich zu ihm rüber. Er kniete neben mir und schaute mich aus seinen großen, blauen Augen an. So selbstverständlich war das nun auch wieder nicht. Hätte jemand auf meiner alten Schule einen solchen Panikanfall von mir mitbekommen, hätte dieser jemand mir sicherlich nicht geholfen. Eher hätte dieser jemand dagestanden und sich Schrott gelacht. Vielleicht hätte er es sogar gefilmt und irgendwo ins Netz gestellt.

„Also, äh.. was, was, was war das gerade?", druckste Finn unsicher herum. Ich hatte gewusst, dass er mir diese Frage stellen würde. War ja auch verständlich.

„Ich hatte einen Panikanfall. Ich hab so etwas öfters mal." erklärte ich leise und blickte peinlich berührt in meinen Schoß. Es war zu spät um ihm eine glaubhafte Lüge aufzutischen, nachdem, was er gesehen hatte. Also sagte ich die Wahrheit. Bestimmt hielt er mich jetzt endgültig für gestört.

„Oh", machte er nur. Ich traute mich nicht zu ihm rüber zu schauen. Stattdessen erhitzen sich meine Wangen und bildeten einen interessanten Kontrast zu meinem restlichen Körper, der immer noch eiskalt war. Meine Hände zitterten zum Glück nur noch ganz leicht.

„Und, na ja, also wieso hast du diese Anfälle? Gibt es dafür einen bestimmten Grund oder so?", fragte er mich. Seine Stimme klang immer noch unsicher. Irgendwie fand ich das ziemlich süß.

Die Frage verursachte eine leichte Gänsehaut auf meinen Armen. Alles in mir sträubte sich dagegen, ihm zu antworten. Doch ich musste es tun und ich würde möglichst nahe an der Wahrheit bleiben. Falls sich je eine Freundschaft zwischen Finn und mir entwicklen sollte, wollte ich nicht, dass diese auf Lügen basierte oder zumindest nicht auf zu vielen Lügen. Denn die ganze Wahrheit würde ich ihm nie im Leben anvertrauen. Zu groß war die Angst, dass er mich danach nicht mehr ansehen konnte. Ich würde überhaupt nie jemanden die Wahrheit erzählen.

„Meine Vergangenheit hat mich ziemlich geprägt", gestand ich leise. Scheu blickte ich zu ihm herüber.

„Das tut mir leid", nuschelte er. Bedauern und Mitleid blitzten in seinen Augen auf. Konnte das sein?

Anstatt mich mit Fragen über meine Vergangenheit zu quälen, sowie es wahrscheinlich jeder andere getan hätte, schenkte Finn mir nur ein kleines, aufmunternden Lächeln und stand elegant auf. Ich war ihm unglaublich dankbar dafür, da ich dieses Thema ruhen lassen wollte. Am liebsten würde ich nie wieder darüber sprechen, geschweige mich daran erinnern. Doch spätestens in meinen Träumen würde meine Vergangenheit mich wieder einholen. So wie sie es immer tat. Hilfsbereit streckte Finn mir eine Hand entgegen, um mir aufzuhelfen, die ich erschöpft und dankbar ergriff. Ein solcher Anfall machte mich immer unglaublich müde.

Mit einem Schwung zog ich sie hoch. Sie war federleicht, aber kein Wunder, sie war schließlich auch extrem dünn. Das war mir gestern schon aufgefallen, besonders nachdem sie nicht mehr als drei Salatblätter in der Mittagspause gegessen hatte. Ob sie wohl an einer Essstörung litt? Spielte ihre Vergangenheit darauf an? Am liebsten würde ich sie mit Fragen überschütten, doch sie hatte mir klar zu verstehen gegeben, dass sie über dieses Thema nicht sprechen wollte. Das akzeptierte ich.

GebrochenWhere stories live. Discover now