12. Kapitel - High Society Scheiße

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Die Sonne scheint und es verspricht ein wunderschöner Tag zu werden. Pünktlich um acht Uhr hat Kyle vor dem Hallenbad auf mich gewartet, heute nicht mit dem schwarzen Sportwagen sondern einem etwas normaleren und weniger protzigen Jeep. Die Begrüßung ist etwas steif ausgefallen aber jetzt wo wir zusammen im Auto sitzen wird die Stimmung langsam lockerer.

„Wo geht's heute hin?", frage ich neugierige. „Wir machen ganz kitschig ein Picknick.", meint er grinsend. Ist das jetzt etwa ein Date, ich meine ein richtiges Date? Dieser Gedanke verfolgt mich schon die ganze Zeit. Das würde dann aber auch heißen dass es ihm mit seinen Gefühlen genauso geht wie mit meinen. Obwohl ich ja nicht mal weiß was ich fühle. Ich weiß nur dass ich mich bei ihm wohlfühle.

„Ich mag Kitsch.", sagt ich bloß. Ja ich gehöre zu den Mädchen die Kitsch in Verbindung mit Romantik gut finden zumindest wenn das Verhältnis stimmt und der Kitsch nicht zu übertrieben ist. Zum Beispiel klingt ein Picknick wirklich gut für mich obwohl ich weiß was da für Krabbelgetier auf dem Boden umhertreibt, mir ist auch bewusst wie unbequem so eine Picknickdecke wird und das Essen ist sicher auch nicht das Beste. Aber man muss sich einfach die positiven Aspekte vor Augen halten. Man befindet sich im Freien, wenn man Glück scheint sogar die Sonne, die Atmosphäre ist locker und man kann sich entspannt aneinander lehnen.

Eine halbe Stunde später erreichten wir den kleinen See im Wald. Das Gras ist noch feucht vom Tau aber die Sonne beginnt schon alles aufzutrocknen. Kyle breitete zuerst die große Decke aus und kommt dann zu mir. Etwas unbeholfen frage er: „Kann ich dich rüber tragen?"

Ich nicke, heute ohne lange darüber nachzudenken. Vorsichtig hebt er mich hoch. Genauso wie gestern spüre ich wie er sich im ersten Moment versteift. Es muss ein eigenartiges Gefühl sein mich zu tragen, oder viel mehr meine dürren Beine, die nur noch aus Haut und Knochen bestehen, zu fühlen. Aber Kyle überspielt seine kleine Unsicherheit oder Nervosität mit Bravour. Behutsam setzt er mich auf die Decke und holt dann noch schnell einen Rucksack, in dem sich wahrscheinlich unser Proviant befindet, aus dem Wagen.

Nach und nach befördert er ein kleines Menü hervor und ich kann mich gar nicht zurückhalten und muss alles sofort probieren.

Wir essen eine Weile schweigend und genießen die uns umgebende Stille bis Kyle plötzlich sagt: „Es ist schön dich wieder zu sehen." Verblüfft schaue ich ihn an und kann nicht verhindern dass meine Gesichtsfarbe eine Nuance rötlicher wird. Verlegen beginne ich zu lachen und sage einfach das erstbeste was mir einfällt: „Weil es ja schon so lange her ist dass wir uns das letzte Mal gesehen haben." Er wiederum lächelt bloß und zuckt mit seinen Schultern. Wieder verfallen wir in Schweigen und ich weiß, dass ich jetzt endlich diese seltsame Situation von letztes ansprechen muss.

„Ich weiß, dass ich das letzte Mal etwas seltsam reagiert hab als du mir erzählt hast was du ...ähm.. beruflich machst. Ich war einfach etwas überrascht und das tut mir leid.", der Versuch selbstsicher zu wirken scheitert.

„Du hast ja erzählt dass du gut bist und Weltmeister werden willst, war das ernst gemeint oder hast du das nur so gesagt?", versuche ich meine etwas misslungenen Start wieder gut zu machen.

Verlegen fährt er mit der Hand durch seine dichten Haare. „Ich hab das schon ernst gemeint. Weltmeister zu werden ist mein Ziel. Ich hatte einen guten Start in die Saison und wenn es so weiter geht kann ich wirklich weit kommen. Ob es für den Titel reicht, das kann ich aber nur hoffen." „Bist du wirklich so gut?"

„Ja das kann man schon sagen.", meint er mit einem selbstsicheren Grinsen, von Verlegenheit ist keine Spur mehr. „Kennst du dich bei der Formel 1 aus?", fragt er mich. Ich schüttle den Kopf: „Nein tut mir leid, nicht wirklich. Aber mein Vater und mein Bruder haben früher eine Zeit lang immer die Rennen angeschaut. Sonntags war das Pflicht und meine zwei Mittbewohner lassen kein Rennen aus." Das Bild von unserem alten Wohnzimmer in Italien taucht vor meinen inneren Augen auf. Auf dem durchgesessenen Sofa mit dem abgewetzten grünen Stoffüberzug sitzt mein Vater und starrt wie gebannt auf die Flimmerkiste wo Autos ihre Runden ziehen. Er lächelt mich kurz begeistert an doch schon hat wieder das Rennen seine volle Aufmerksamkeit. „Heute. Heute schaffen wir es endlich auf das Siegerpodest. Das hab ich im Gefühl Marea. Heute muss es einfach klappen principessa." Principessa, Prinzessin, das war immer sein Kosename für mich. Ich war immer seine kleine Prinzessin, egal wie alt ich war und wie sehr ich die Farbe pink auch hasste. Wer an diesem Tag gewonnen hat weiß nicht mehr. Ich kann mich nur noch an die, für mich unverständliche, Begeisterung meines Vaters erinnern. Aber mein Vater und seine Begeisterung waren ziemlich sprunghaft die Formel 1 wurde nach ein paar Jahren zu langweilig und uninteressant. Er ist dann auf Schifahren umgestiegen und dem Schisport sind andere Sportarten gefolgt. Mein Bruder war da schon beständiger, er war ein richtiger Rennsportfant.

Wie Sand und MeerWhere stories live. Discover now