» Unsicherheit und Tränen

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Ich wusste nicht, wie lange ich in dieser Bank saß und wartete, dass die Trauerfeier endlich losging, aber es kam mir vor wie eine Ewigkeit. Bill hatte die ganze Zeit über meine Hand gehalten, doch trotzdem erdrückte diese grässliche Stimmung in diesem Raum mich schon nahezu. Mein Blick heftete die ganze Zeit über auf dem kleinen weißen Sarg, in welchem sich Beccy befand. Ich konnte sie ganz genau dort drin liegen sehen. Mit dem Lächeln auf ihren wundervollen roten Lippen, die blauen Augen geschlossen.
Ich nahm nicht wahr, wer alles nach vorne zu dem Sarg ging und eine Weile dort stand und an sie gedachte, viel zu sehr war ich in meinen Gedanken vertieft.
Als der Pastor in die Kapelle kam, wurden wunderschöne Klavierstücke gespielt, was mir Tränen in die Augen trieb. Diese sentimentalen Klänge, welche in dem Lied miteinander harmonierten, berührten mein Herz in dieser Situation so sehr, dass ich kurz aufschluchzen musste. Sofort stärkte sich Bills Handdruck und auch Toms Blick spürte ich auf mir. Ich sah kurz zur Seite, wo ich sofort in die braunen Augen von Tom sah. Er nickte mir mit geschlossenen Augen zu, als der Pastor anfing zu reden.
Ich schloss eben so die Augen und hörte ihm zu, hatte trotzdem das Gefühl, die Hälfte nicht mitzubekommen; viel zu sehr war ich in den Gedanken versunken, die mich an die frühere Zeit mit Beccy erinnerten.
"...'Er hat erhört, die Stimme unseres Flehens'. Und Sie erkennen sich mit der eigenen Stimme wieder in diesen Worten. Es ist auch Ihre eigene Stimme, die in den letzten Monaten immer wieder gefleht hat, dass Beccy vom Schmerz befreit wird.
'Entweder soll es sicher sein, dass Beccy mit ihrer Krankheit überleben kann, oder sie soll erlöst werden', denn das Zwischendrin, das Wechselbad von Hoffnung und Verzweiflung war unerträglich. Sie erlebten mit, wie Ihre Patientin, Ihre Schwester leiden musste, wie sie um das Leben kämpfte. Aber ihre Kräfte waren letztendlich viel zu schwach für diesen harten Kampf. Ihr Kind, Ihre Beccy so leiden zu sehen war unerträglich für Sie. Als Verwandte, als Vertraute sie so leiden zu sehen ging auch über Ihre Kräfte.", ich schluchzte laut auf, stellte für einen Moment meine Gedanken ab und hörte dem Pastor bei seiner Rede zu. Es tat weh, so etwas zu hören. Es tat weh zu wissen, sie würde nie wieder kommen. Bills Hand drückte meine.
"...ich hoffe, dass Sie in der Zeit der Trauer weiter Menschen finden, die mit Ihnen fragen und die Ihre Antworten auf den heutigen Tag verstehen. Ich wünsche Ihnen, dass Ihre Hoffnung heute mit Beccy nicht mit begraben wird. Ich wünsche Ihnen, dass Sie weiter für dieses Mädchen hoffen, dass Sie Gott weiter bitten können: Vollende an ihr, was du an der Taufe begonnen hast.
Ich wünsche Ihnen, dass es Ihnen in der Zeit der Trauer zur Gewissheit wird: Er hat das Flehen von Beccy erhört. Er wird erhören die Stimme Ihres Flehens."
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Konnte meine Tränen nicht zurückhalten, musste einfach meine Hände vor meinem Gesicht zusammen schlagen und weinen. Der schwarzhaarige Junge neben mir legte sofort seine Arme um mich und zog mich an sich ran, hauchte mir etliche Küsse auf die Schläfe. Sanft wog er mich hin und her und versuchte mich dadurch zu beruhigen, während wieder ein Klavierstück gespielt wurde.
Es hatte seltsamerweise einen Klang, der dem Lied My Immortal von 'Evanescence' erinnerte. Es war Beccys Lieblingslied, seitdem sie im Krankenhaus lag. Ich wusste nicht, ob mich das gerade gespielte Lied daran erinnerte, weil es ihr Lieblingslied war, oder weil es wirklich Ähnlichkeiten mit dem langsamen Lied hatte.
Ich hatte es damals immer gespielt, als meine Schwester für einige Tage nach Hause kommen durfte. Im Wohnzimmer, vor der großen Fensterfront stand der große schwarze Flügel, auf welchem meine Mutter früher immer gespielt hatte. Es war das einzige, was ich von zu Hause mitnahm, als ich ins Kinderheim geholt wurde. Ich stellte mich immer dagegen, wenn es mir nicht erlaubt wurde, es mitzunehmen. Ich bekam damals meinen Willen,
Und ich war froh, dass ich ihn damals bekommen habe. War froh, dass ich den Flügel mitgenommen hatte. Beccy saß immer auf der Oberseite, und sah mir beim Spielen und singen zu und klatschte erfreut in die Hände, als der letzte Ton erklungen war. Vor allem hatte sie sich immer bei dem Lied 'My Immortal' gefreut.
Ich war ihr was schuldig. Ich löste mich aus Bills Umarmung und sah nach vorne rechts und links neben den Sarg. Mein Blick blieb links von ihm stehen und musterte den weißen, großen und wunderschönen Flügel.
Sollte ich?


Diagnose Blutkrebs - Dein letzter Wunsch veränderte mein LebenWhere stories live. Discover now