11 | Nerven wie Drahtseile

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"Evan", murmelte ich. "Komm."

Er nickte langsam, machte aber keine Anstalten, sich in irgendeiner Weise aus dem Auto zu bewegen.

Seine Hände ruhten auf dem Lenkrad, seltsam elegant und mühelos, fast so als würde es sich dabei um ein empfindliches Werkzeug handeln.

Ob er auch so seine Rennen bestritt?

Hochkonzentiert, eins mit seinem Auto?

"Lexi, ich kann das nicht", seufzte er jetzt und ich sah, wie seine Hände sich um das Leder schlossen, immer enger und fester. Das Werkzeug wäre längst durchgebrochen.

"Natürlich, Evan." Ich versuchte meiner Stimme einen selbstsicheren Klang zu geben, den ich oft anschlug, wenn jemand sich in meinem Büro über die Tische hinweg anschrie.

Das kam in Verlägen durchaus öfter vor, als man annahm.

"Du hast leicht reden", schnaubte er und in seiner Stimme schwang wieder etwas von diesem verletzenden Ton mit, den ich bis vor kurzen für seinen unverzichtbaren Begleiter gehalten hatte. "Wann hast du deiner Mutter das letzte Mal erzählt, dass du einer schweren psychischen Krankheit unterliegst, die es dir unmöglich macht, mit anderen Menschen zu verkehren, ohne dir mehr Feinde zu machen, als du Freunde hast?"

"Meine Mum würde mir verzeihen, Evan", antwortete ich ruhig. "Und da ich Margaret kenne, weiß ich, dass sie auch dir vergeben wird."

Die ersten Sonnenstrahlen krochen hinter den Hügeln der so weichen englischen Landschaft hervor, und erfüllten das Auto mit einem durchscheinenden, erhabenen Glanz.

Nur ein paar Sekunden später wagte sich die Sonne hervor und ich musste lächeln, als mich die warmen Strahlen im Gesicht kitzelten.

Evan warf einen unwirschen Blick in Richtung des Störelements, als wolle er es persönlich dazu bringen, wieder zu verschwinden (ich wünschte ihm viel Glück dabei, die Erdrotation aufzuhalten), und wandte sich mir zu.

"Lexi, ich weiß wirklich nicht, was meine Mutter zu alledem sagen wird." Er seufzte. "Vielleicht ist der Schaden, den ich angerichtet habe, irreparabel."

Ich legte ihm sanft die Hand auf dem Arm und er sah verwundert darauf, fast als sei ihm Körperkontakt eine ebensolche Schmach wie das Zeigen menschlicher Gefühle. "Deine Mum wird dich nicht für etwas verurteilen, woran sie selbst leidet."

Ich vermutete sogar, dass sie sich unendliche Vorwürfe machen würde.

Aber das wollte ich Evan lieber erst einmal verschweigen.

"Komm schon, Evan", sagte ich ein letztes Mal und er sah mich an.

Ich wusste nicht, ob es das penetrante Strahlen der Sonne, die Vehemenz in meiner Stimme oder einfach nur sein eigenes Pflichtgefühl war, dass ihn letztlich dazu veranlasste, die Autotür aufzustoßen und auszusteigen.

Zufrieden lächelte ich und tat es ihm gleich.

Vor der Haustür des Anwesen sah ich mich meiner nächsten Bürde gegenüber.

Evan starrte unverwandt auf den Türknauf, als sähe er ihn zum ersten Mal.

"Was ist, wenn sie mir verzeiht, mich aber dennoch nicht zurücknehmen will?", fragte er.

"Sie würde David die Hochzeit versauen, und das wird sie in hundert Jahren nicht tun."

"Das Glück meiner Situation hängt also davon ab, dass meine Mutter meinen Bruder nichts verderben will? Das klingt ja wahrlich vielversprechend."

Ich verdrehte die Augen. "Evan, wie oft noch? Deine Mum wird dich mit offenen Armen aufnehmen, solange du alles so machst, wie wir es abgesprochen haben."

The Best ManWo Geschichten leben. Entdecke jetzt