Der Prinz

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Nach dem entspannenden Bad ziehe ich mir ein frisches Kleid an und mache mir die Haare neu. Dann schaue ich auf den Stand der Sonne und bemerke wie tief sie steht. Zwar habe ich noch Zeit bis zum Abendmahl, aber bis ich den Weg dorthin gefunden habe, könnte es zu spät sein. Also öffne ich die Tür und trete hinaus auf den Gang.
Anders als normale Gänge hat dieser keine Wand oder Decke, sondern nur ein Geländer und freie Sicht auf die Höhle. Der Anblick überwältigt mich und ich bleibe kurz stehen, dann wende ich mich nach rechts, denn dort geht es sanft aber stetig abwärts und ich habe das Gefühl, dass der Speisesaal in diese Richtung liegt.
Nach wenigen Metern höre ich hinter mir eine Stimme.
"Frau Jedwiga?"
Ich drehe mich herum und sehe den blonden Elb von der Wache auf mich zu kommen.
Allerdings trägt er nicht mehr seine Kampfkleidung, sondern ein grünes Hemd und eine schwarze Hose mit bequemem Stiefeln. Er wirkt nun sehr viel lockerer und fröhlicher.
"Ach, ihr seid es", meine ich zu ihm und lächle leicht. Er lächelt zurück und schaut mich mit seinen eisblauen Augen an, aber dieses Mal sehen sie wärmer und freundlicher aus.
"Wohin des Weges?", fragt er mich und schließt zu mir auf.
"Ich bin auf der Suche nach dem Speisesaal, aber ich fürchte, dass ich ihn alleine nicht werde finden können."
"So ein Zufall, ich muss ebenfalls dorthin. Wollt ihr mich begleiten?"
Ich nicke und wir gehen nebeneinander her, wobei der Blonde die Richtung bestimmt.
"Und, habt ihr etwas wegen eurer weiteren Ausbildung erfahren?", erkundigt er sich bei mir und schaut mich an. 'Seltsam, jetzt ist er viel gesprächiger als vorher.'
"Ja, euer König Thranduil hat mir gesagt wer mein Ausbilder sein wird, sein Sohn Legolas."
"Oh, das ist... gut, glaube ich", meint er und ich höre eine winzige Spur Unsicherheit in seiner Stimme.
"Ich kenne ihn allerdings noch nicht. Wisst ihr wer das ist?", frage ich und schaue ihn wieder an. Er schluckt und wirkt plötzlich ein wenig nervös.
"Nun ja, ähm, genaugenommen kennt ihr ihn doch schon. Ich bin nämlich Legolas."
Perplex schaue ich ihn an.
"Ihr seid Thranduils Sohn?"
Legolas nickt und schaut mich vorsichtig an.
"Ich habe es nur vorher nicht gesagt, weil ihr dann ganz anders mit mir umgegangen wärt. Und ich wollte nicht, ich meine, ich wollte nicht gleich so arrogant wirken."
Dieses Geständnis verblüfft mich so sehr, dass ich mitten auf dem Gang stehenbleibe und ihn anstarre.
"Ihr geht mit euren Untertanen zur Grenzwache?", bringe ich schließlich hervor und Legolas schaut überrascht.
"Ja, warum auch nicht. Ich bin ihr Anführer, und ich sollte schon wissen, wie es an den Grenzen aussieht. Wollen wir nicht vielleicht weitergehen?"
Ich setze mich wieder in Bewegung und laufe neben dem Prinzen her.
Das Gespräch ist abgebrochen und ich spüre sein Unbehagen darüber. Doch er fängt kein neues an, und deswegen legen wir den Rest des Weges schweigend zurück.
"Warum wart ihr vorhin im Wald so wortkarg?", frage ich ihn endlich und er lächelt kurz bevor er antwortet.
"Vor meinen Wachen führe ich keine Privatgespräche. Die wissen sowieso schon allerhand über mich, da darf ich ja wohl auch etwas haben, was sie nicht wissen."
Darüber muss ich ein bisschen lachen, reiße mich aber erschrocken zurück.
"Ist irgendetwas?"
"Nein, ich bin nur ein wenig verwirrt. Immerhin rede ich gerade mit dem Prinzen des Düsterwaldes."
"So müsst ihr das nicht sehen. Wie wäre es, wenn ihr einfach mit einem Freund redet?"
Er schaut mich prüfend von der Seite her an und ich sehe etwas in seinen Augen aufblitzen. Hoffnung?
"Ihr meint, dass wir Freunde sind und nicht Tochter des Herren von Bruchtal und Sohn des Königs des Waldlandreiches?"
"Genau, so wäre es mir jedenfalls lieber. Ich hasse dieses Getue von wegen Prinz und das alles."
"Ich auch. Ich meine, dass man mich behandelt als wäre ich besser als andere. Dabei bin ich doch eigentlich nur eine gewöhnliche Elbe."
"Naja, ganz so würde ich es nicht betrachten", murmelt Legolas und ich schaue ihn scharf an. 'Oh nein, wage es ja nicht!' Doch glücklicherweise hält er den Mund und bleibt vor einer großen Tür stehen.
"Wir sind da", meint er zu mir und öffnet die Tür. Dann tritt er einen Schritt zur Seite und lässt mich zuerst durchgehen.
"Danke", murmele ich ein wenig befangen. Für einen Moment hat es mich an all die unangenehmen Geschehnisse mit den Elben in Bruchtal erinnert, an die Fürsten und Fürstensöhne, an die Prinzen aus fernen Ländern und an die Kaufmannssöhne. Aber bei Legolas ist es anders.
Er hat sich mir nicht aufgedrängt, er wollte mir erst sogar seinen Namen nicht nennen, um mich nicht gegen ihn aufzubringen. Bei ihm habe ich nicht das Gefühl dass er mir etwas vorspielt und das ist sehr angenehm.
Der Speisesaal ist groß, luftig und schön. Ein langer Holztisch steht in der Mitte des Raumes, an dessen Kopfende bereits Thranduil sitzt.
"Legolas, Jedwiga, da seid ihr ja."
Legolas neigt kurz den Kopf in Richtung seines Vaters und setzt sich dann an seine linke Seite. Ich verneige mich und lasse mich dann auf den Stuhl zu Thranduils rechter Seite sinken, direkt gegenüber von Legolas.
Dieser lächelt mir aufmunternd zu, dann beginnt er ein Gespräch mit seinem Vater, in dem es um die Verfassung der Grenzen und deren Sicherheit geht. Ich höre nur mit halbem Ohr hin und esse eine Kleinigkeit. Legolas isst auch etwas, aber sein Vater trinkt nur aus einem Kelch, der mit dunkelrotem Wein gefüllt ist. Nach einer Weile beenden die beiden das Gespräch und Thranduil wendet sich mir zu.
"Verzeiht, wenn wir euch ein wenig ausgeschlossen haben, aber das waren wichtige Dinge, die geklärt werden müssen."
"Das ist nicht schlimm", erwidere ich und schaue in die kalten Augen des Königs. Hastig beende ich mein Mahl, denn dann beginnt Thranduil mit seinen Fragen. Von meiner Kindheit will er wissen, was ich gelernt habe, welche Dinge ich beherrsche und so weiter.
Ich antworte wahrheitsgemäß, lasse aber bewusst alles aus, was mit meiner Menschenfamilie zu tun hat. Doch dann spricht Thranduil genau diese Sache an. Für ihn ist es höfliche Konversation.
"Dein Vater hat mir erzählt, dass du deine ersten zwanzig Lebensjahre bei einer Menschenfamilie verbracht hast."
Nun schaut Legolas mich überrascht an, doch ich spanne mich an. Meine Augen frieren wieder stärker ein.
"Und hat er euch auch erzählt was mit ihnen geschehen ist? Dass sie tot sind?", frage ich, und meine Stimme klingt hart und kalt. Ich schaue den König an und dieser sieht nun verwirrt aus.
"Sie sind tot, und seitdem spricht niemand wieder von ihnen! Hört ihr? Niemand!"
Die letzten Worte zische ich und es ist mir absolut egal, dass ich hier gerade mit dem König des Waldlandreiches spreche. Ich habe zu oft erlebt, dass jemand meine frühere Familie noch im selben Atemzug beleidigt hat, um dabei ruhig zu bleiben.
Tränen bilden sich in meinen Augenwinkeln, ich blinzele sie wütend weg, doch sie kommen immer wieder. Bis sie einzeln meine Wangen herunterlaufen. Ich senke den Kopf und schließe die Augen, als mich der Schmerz wieder erfasst. So lange konnte ich ohne ihn leben, und all diese Bemühungen werden durch einen Abend zerstört. Durch eine einfache Frage.
Nur am Rande nehme ich war, dass Legolas irgendetwas zu seinem Vater sagt, dann steht er plötzlich neben mir.
"Jedwiga? Kommt, ich bringe euch in euer Gemach. Es war ein langer Tag."
Wortlos stehe ich auf. Die Tränen sind sehr schnell wieder versiegt, aber meine Trauer spiegelt sich in meinem Gesicht wieder. Legolas öffnet die Tür und lässt mich hindurch, dann geht er neben mir her. Nach einer Weile hole ich tief Luft und tauche aus meiner Versunkenheit auf.
"Verzeiht mir für meine Reaktion", bringe ich hervor, aber meine Stimme klingt immernoch eisig. Legolas schaut mich mitfühlend von der Seite her an.
"Das ist schon in Ordnung. Geht es euch denn besser?"
Ich schüttele den Kopf.
"Solange diese Wunde nicht verschlossen ist, niemals. Und wer weiß, ob das jemals passieren wird."
Dann kommen wir an meinem Zimmer an, doch als ich die Tür öffnen will, hält Legolas mich am Arm zurück. Überrascht hebe ich den Kopf und schaue ihn an. In seinem Blick liegt Schmerz, aber auch Verständnis.
"Es tut mir so leid. Wenn ich helfen könnte, würde ich es tun, aber ich weiß nicht, was ihr braucht."
"Das weiß ich auch nicht. Dennoch danke ich euch, das bedeutet mir viel."
Und ohne dass ich es beeinflussen kann, gehe ich einen Schritt vor und schlinge meine Arme sacht um ihn.
Nach einem kurzen Moment legt er ebenfalls seine Arme um mich und eine Hand an meinen Hinterkopf.
"Vergesst nicht, ich bin euer Freund und wenn ich euch helfen kann, so werde ich es tun", flüstert er, dann lasse ich ihn los und gehe in mein Zimmer. Verwirrt über meine Reaktion lege ich mich direkt in mein Bett und schlafe ein.

Die Geschichte von JedwigaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt