Ein neuer Fall

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Ein strahlendes Lächeln erhellte Finns ganzes Gesicht als er schnell nach oben sprintete, Momo noch immer auf dem Arm.

Maya sah mich erwartungsvoll an. Dann blieb es wohl an mir hängen. Wir stiegen die kleine, knarrende Treppe hoch bis wir vor drei alten Türen standen. Ich hörte Finn hinter der mittleren Tür umherlaufen und seine Sachen zusammensuchen. Ich lächelte kurz als ich mir vorstellte wie er mit Momo auf dem Arm versuchte, im Chaos seines Zimmers seine Ausrüstung zu finden, dann öffnete ich die linke Tür zu Bens Zimmer, schaltete das Licht an und ließ Maya eintreten.

Ich stand für ein paar Sekunden im Türrahmen. Der Raum war, abgesehen von einem Bett, Schrank, Tisch, einem alten Sessel und Bens Schlüsseln an der Wand absolut leer. Er sah verlassen aus.

Keiner der neuen Agenten war bei uns eingezogen und so stand das Zimmer seit einem Jahr leer. Nach Bens Tod hatten Finn und ich es ausgeräumt und die meisten Sachen zu seiner Halbschwester gebracht. Ein paar Dinge hatten wir für uns behalten: in Finns Zimmer stand Bens kaputter Wecker, an dem er in jeder freien Minute in den Wochen vor seinem Tod rumgebastelt hatte, und ich trug seine alte Lederjacke. Sie war mir ein oder zwei Nummern zu groß, aber an manchen Tagen konnte ich mir einbilden, dass sie noch nach ihm roch.

Plötzlich konnte ich es nicht mehr ertragen hier zu sein. Ich ließ Maya stehen und ging schnell in mein eigenes Zimmer, um mich umzuziehen.

Ich brauchte ganze fünf Minuten, um meine Sachen in meiner Unordnung zusammen zu suchen. Das Oberteil meiner Uniform, ein langärmliges Shirt mit dem kleinen, aufgestickten Logo des Headquarters, lag vom Regen durchweicht vor meinem Fenster. Ich hob es mit spitzen Fingern auf und ließ es gleich wieder fallen. Na super. Ich warf mir schnell ein ausgewaschenes, graues T-Shirt über und rannte nach unten.

Maya und Finn warteten schon in der Küche. Maya warf mir einen schnellen Blick zu. Bildete ich es mir ein oder war ihre Augenbraue beim Anblick meines T-Shirts ein paar Millimeter nach oben gerutscht?

„Bereit? Dann los. Maya, du kannst uns alles über den Fall im Auto erzählen."

Wenig später saßen wir eingezwängt in Finns altem Beetle, Maya und unsere Ausrüstung auf dem Rücksitz. „Okay", ich drehte mich zu ihr um, „was erwartet uns? S.G.? S.S.? H.F.?"

Jetzt, da wir unterwegs waren spürte ich eine altbekannte, dumpfe Vorfreude in mir hochsteigen. Es war höchste Zeit, dass ich wieder auf die Jagd ging.

Maya sah etwas verlegen aus: „Ähm... nicht wirklich. Ein F.I.N."

Finn lachte kurz auf aber meine Vorfreude verpuffte wie ein geplatzter Ballon. Ein Fräulein in Nöten? Ehrlich? Normalerweise schicken sie absolute Anfänger für so was. Warum ein voll ausgebildetes Team für ein einziges Fräulein? Und dann wurde es mir klar.

„Sind wir auf Bewährung?"

Maya tat so als würde sie ihre Tasche checken und vermied es, mich anzusehen. Sie klang noch verlegener: „K. hielt es für besser nach euren letzten Fällen, also glaub ich... Ich weiß nicht genau..."

„Vergiss es."

Ich warf mich in meinen Sitz. Es fiel mir schwer, die Bitterkeit aus meiner Stimme zu halten, aber es war schließlich nicht Mayas Schuld. Bewährung. Toll, genau was ich brauchte. Maya musste denken, dass wir absolute Versager waren.

„Bist du schon mal einem F.I.N. begegnet?" fragte ich sie gereizt, mehr um zu überspielen wie peinlich mir das alles war.

Jeder Agent hatte es am Ende seiner Ausbildung mindestens einmal mit einem Fräulein zu tun gehabt, ich selbst hatte schon dutzende beseitigt. Aber ich wusste schließlich nichts über Maya und der letzte Agent, den sie uns geschickt hatten, wäre bei unserem letzten Fall fast einer alten, lahmen Märchenhexe zum Opfer gefallen. Man konnte also nie wissen...

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