Das Fräulein und die Braut

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Wow. Die Eingangshalle war größer als unsere ganze Wohnung. Auf dem Boden lag ein schwerer, weinroter Teppich, die Wände waren mit dunklem Holz vertäfelt und hier und da standen ein paar furchtbar hässliche große Vasen voller Blumen. Schon auf den ersten Blick konnte man sehen, dass alles sehr teuer war. Nicht mein Ding, aber trotzdem beeindruckend. Wir standen für ein paar Sekunden ruhig da, ließen den Ort auf uns wirken und horchten in die Stille.

„Das erinnert mich an die Villa, in der wir Kapitän Ahab gejagt haben. Die war genauso protzig. Weißt du noch? Als wir..."

Ein Blick von mir brachte Finn zum Schweigen. Ich wollte nicht, dass Maya erfuhr was bei diesem Auftrag geschehen war. Finn zuckte entschuldigend mit den Schultern und verzog das Gesicht. Ich sah schnell zu Maya, aber sie schien uns gar nicht gehört zu haben, denn sie machte sich eifrig Notizen in einem kleinen, schwarzen Lederbuch. Ich erhaschte einen Blick auf ihre perfekt geschwungene Handschrift mit der sie die Uhrzeit, den Raum und die Phänomene festhielt, die Agenten normalerweise eine Erscheinung ankündigten.

Der Geruch nach alten Büchern war eines. Ein kaum wahrnehmbares Flüstern ein anderes. Stell dir vor, jemand liest dir ein Buch vor, aber er sitzt in einem anderen Raum und du kannst keine Worte verstehen. Alles, was du hörst, ist ein unangenehmes Hintergrundrauschen. Wenn du versuchst, aktiv auf das Flüstern zu hören, war es auf einmal verschwunden. Aber in dem Moment, in dem du dich auf etwas anderes konzentriertest, kehrte es zurück. Wie ein Schatten, der sich aus den Augenwinkeln heraus bewegte aber nicht mehr da war sobald man hinsah. Ein unbestimmter Druck hinter den Augen und ein Gefühl von Sorge und Angst irgendwo in der Magengegend sind andere Anzeichen, aber diese treten nur bei wirklich starken Erscheinungen auf. Nicht jede Erscheinung wurde von diesen Phänomenen begleitet. Hier zum Beispiel war alles still und riechen konnte ich auch nichts. Allerdings auch nicht anders zu erwarten bei einem einfachen Fräulein.

„Hey, Ellie. Meinst du, das ist der Hausbesitzer oder einer von seinen verrückten Vorfahren?"

Finn hatte sich neben ein schweres Ölgemälde gestellt und perfekt den sauren, leicht abschätzigen Blick des fetten Mannes nachgeahmt, der darauf abgebildet war und dessen schwülstiges Doppelkinn sich auf seinen altmodischen Anzug ergoss. Eine große Warze prangerte auf seiner Stirn. Ich schauderte. Wenn das mein Onkel, Bruder oder Vater gewesen wäre, hätte ich sein Bild in den tiefsten Keller verbannt.

„Die Ähnlichkeit ist frappierend. Sicher, dass es nicht einer deiner Vorfahren ist?"

Finn streckte die Zunge raus und ich grinste, aber Maya verzog keine Miene.

Ich warf Finn einen halb amüsierten, halb ermahnenden Blick zu und er wurde sofort ernst. Besser, wenn wir uns vor Maya von unserer professionellen Seite zeigten. Ich wollte ihr keine Entschuldigung geben, uns bei K. anzuschwärzen.

Fräuleins verließen selten ihre Bibliothek und auch diesmal war hier alles still. Als wir die Treppe hoch in den zweiten Stock stiegen, wurden unsere Schritte von dem weichen Teppich geschluckt. Oben angelangt standen wir am Anfang eines langen Flures, links und rechts gingen schwere, dunkle Türen ab und ganz am Ende war eine große Doppelflügeltür. Das musste die Bibliothek sein.

Wir gingen darauf zu und stoppten kurz davor, um uns noch einmal zu sammeln. Ich wollte gerade die schwere Türklinke runter drücken, als Maya mich zurück hielt.

„Halt! Wir können da nicht rein."

Finn runzelte überrascht die Stirn: „Keine Angst. Das ist nicht das erste Mal, dass wir es mit einem Fräulein zu tun haben."

Maya sah ihn entrüstet an:

„Ich habe keine Angst. Aber das „Handbuch für Agenten" sagt ganz eindeutig, dass wir keinen heimgesuchten Raum betreten dürfen, ohne nach einem alternativen Ausgang für Notfälle zu suchen."

Die flüsternde BibliothekМесто, где живут истории. Откройте их для себя