Die Heimat der Elfen

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Wir wanderten bis Abends ohne Pause. Durch Juli's Verletzung kamen wir nur langsam voran, auch, wenn Brady und Nate die Kleine ab und an trugen. So hatten wir spätabends erst die Hälfte der Strecke erreicht, die wir eigentlich zurücklegen wollten. Juli sah ziemlich blass aus, während sie sich an ihre behilfsmäßige Krücke klammerte. Mit einem Kopfnicken machte ich Danielle darauf aufmerksam. ,,Wir sollten eine kurze Pause machen", rief sie daraufhin und stellte ihren Rucksack ab. Erschöpft ließen alle sich in den noch heißen Sand fallen. Danielle ging zu Juli, wies sie an, das Hosenbein hochzukrempeln und wickelte den Verband ab. Was darunter lag, sah nicht nach einer Verheilung der Wunde aus. Ganz im Gegenteil. Die Wunde eiterte ein wenig und es zogen sich rote Linien von der Wunde über das Bein. Juli hatte eine Blutvergiftung.

Ohne ein Wort gab unsere Ärztin ein paar Tropfen Gegengift auf die Wunde und rieb noch eine Salbe darauf, bevor sie die Wunde wieder sorgfältig in ihren Verband einpackte. Ich wandte meinen Blick ab. So wie jeder wusste ich, dass Juli sterben würde, wenn wir ihr kein Gegenmittel verabreichten. Verzweifelt suchte ich Augenkontakt mit Ann. Diese schaute bedrückt zurück und senkte dann den Kopf. Lilly krabbelte ein Stück zu mir herüber und legte mir beruhigend die Hand auf den Arm. Überrascht sah ich sie an. ,,An der Peligrososchlucht könnten Heilkräuter wachsen", sagte sie. ,,Wenn wir uns beeilen, schaffen wir es noch, bevor..." Die Elfe wagte es nicht, weiter zu sprechen. ,,Worauf warten wir dann noch?", fragte Brady, der das Gespräch mitgehört hatte und sprang auf. Er hob Juli hoch, sodass sie wie ein Baby in seinen lag. ,,Wir dürfen keine Zeit verschwenden."

Nur ganz selten machten wir Pause, und das auch nur, um auf der Karte nach dem richtigen Weg zu sehen. Jeder von uns war erschöpft, aber wir konnten es uns nicht erlauben, uns auszuruhen. Nicht jetzt. Juli hatte Fieber bekommen, zwar nicht schlimmes Fieber, aber wir merkten, dass uns die Zeit davon lief. Bedrückt lief ich hinter den anderen her. Ich machte mir sehr viele Gedanken über die 8-Jährige. Was würde geschehen, wenn wir es nicht rechtzeitig zur Peligrososchlucht schafften? Was, wenn Juli starb? Ich war so in meinen Sorgen versunken, dass ich nicht merkte, wie Lilly sich zurückfallen ließ und mir eine ganze Weile lang schweigend Gesellschaft leistete. Als sie irgendwann zu sprechen anfing, zuckte ich vor Schreck zusammen. ,,Weißt du, Mary, im Grunde steht es um Juli nicht so schlimm. Es dauert lange, bis sich die Blutvergiftung weit genug ausbreitet, um sie zu töten. Also, so lange nun auch wieder nicht, aber wir werden auf jeden Fall rechtzeitig bei der Schlucht ankommen", fügte sie schnell hinzu, als sie mein Gesicht sah. ,,Ich hoffe es.", murmelte ich. Wieder schwiegen wir eine Weile. ,,Erzähle mir etwas über deine Heimat", sagte ich plötzlich. Irgendwie musste ich mich ja ablenken, und da ich sowieso nicht viel über Lilly wusste, war dies die ideale Gelegenheit. Die Elfe lächelte. Meine Heimat heißt Weladis, sie ist eine der größten Elfenländer, die es gibt. Wir haben einen großen Fluss, Deloi, der seine Arme durch das ganze Land ausbreitet. Wir sind ein sogenanntes Waldreich, da Weladis fast nur aus einem riesigen Wald, dem Ferot-Wald, besteht. Ich lebe in einem großen camp im Herzen des Waldes, namens Epora. Du kannst dir Epora wie eine riesige Stadt vorstellen, nur dass wir keine Wolkenkratzer haben, sondern abertausende von Zelten." Lilly lächelte traurig. Anscheinend vermisste sie Epora sehr. ,,Das Camp wird von der Hochelfe Theresia und ihrem Mann Leopold geleitet. Sie waren die ersten, die auf die Idee kamen, Epora in fünf Teile zu spalten, welche ebenfalls von jeweils zwei auserwählten Elfen geleitet werden. Zuallererst ist dort Nelia, das Camp für die Wirtschaft. Es wird von Robin und Joseph geleitet. Sie kümmern sich um den Handel mit zum Beispiel Nahrung, Fellen und Erzen. Dann gibt es noch Lorel, das Camp der Politik. Dies leiten Melissa und Brian. Wenn du mich fragst, sind sie totale Idioten. Also, das Camp für Natur und Tiere, Anmor, leiten meine Freundinnen Flora und Fauna. Naja, sie waren es, die diesen Spruch mit Flora und Fauna in Umlauf gebracht haben. Sie haben echt nur Unsinn im Kopf. Mayl ist das Camp für das Spurenlesen, es wird von Rose und ihrem Freund Sean geleitet." ,,Rose leitet ein Camp?", unterbrach ich Lilly. ,,Und sie hat einen Freund?" Lilly nickte grinsend. Mann, ich wusste ja wirklich wenig über die beiden Elfen. ,,Wie dem auch sei", fuhr Lilly fort. ,,Das letzte Camp, Pyoc, lehrt anderen Elfen den Kampf. Es wird von Nick und mir geleitet." ,,Was, du leitest auch ein Camp?" fragte ich fassungslos. Wieder nickte Lilly. ,,Deswegen wurden Rose und ich ja mitgeschickt. Wir sind die besten unseres Camps." Hammer. Das musste mein Menschengehirn erst einmal verarbeiten. ,,Und... hast du einen Freund?", hakte ich neugierig nach, woraufhin die Elfe lachte. ,,Nein, dafür habe ich keine Zeit", meinte sie. ,,Apropos Freund, ich glaube, da will jemand die Zeit mit dir verbringen." Sie stupste mich an und nickte in die Richtung von Nate. Er lief etwas abseits der anderen und sah sich immer wieder nach mir um. Verlegen entschuldigte ich mich bei Lilly, welche nur lächelte, und rannte zu Nate. ,,Hey", sagte er. ,,Hey", sagte ich. Dann schwiegen wir eine Weile. ,,Glaubst du, Juli geht es bald besser?", fragte ich dann, als die Stille zwischen uns nicht mehr auszuhalten war. Aufmunternd griff mein Freund nach meiner Hand. ,,Sie wird schon wieder." Jetzt, da das Eis zwischen uns - von wo auch immer es hergekommen war - gebrochen war, unterhielten wir uns locker und entspannt miteinander, bis Danielle, die allen voraus lief, die Hand hob und uns so zum Stehen brachte. Unsere Gespräche verstummten und wir blickten unsere momentane Führerin gespannt an. Diese kniete sich hin und wühlte so lange im Gras herum, bis Rose sich seufzend neben sie kniete und ihren Fuß beiseite schob. Unter Danielles Fuß befand sich eine platt gedrückte, knallviolett farbene Blume. ,,Wir sind nicht mehr weit von der Peligrososchlucht entfernt", stellte Rose zufrieden fest. Und tatsächlich: nach ungefähr einer weiteren Wegstunde hörten wir das leise Plätschern eines Flusses, welches sich nach ein paar weiteren Schritten als dröhnendes Tosen herausstellte. Kurz darauf standen wir an den steilen Hängen der 300 Meter tiefen Peligrososchlucht.

The Quest - die Reisenden #wattys2016Where stories live. Discover now