26- Verluste

35 2 2
                                    

,,Du verarscht mich doch, oder?!" Ungläubig schüttelte ich den Kopf. Das konnte doch gar nicht sein. Mum hätte sich nie gegen das System gewand und Collin, der war doch sowieso viel zu ängstlich dafür gewesen.

,,Es tut mir so leid", kam es in flüsternder Stimme nun über seine Lippen.

,,Nein, nein. Das kann nicht sein". Ich legte meine beiden Hände an meine Lippen und stand auf. Ich ging rückwärts, ohne auch nur auf den Weg zu achten, Schritt für Schritt zögerlich zurück und stieß schließlich mit meinem Rücken gegen seinen Schrank.

,,Bitte sag mir, dass das nicht wahr ist". Meine Stimme war schrecklich zitternd und es lag ein Unterton voller Traurigkeit in ihr. Ein leises Wimmern überkam mich und die Tränen liefen über meine Wangen. Ich sank in die Hocke und krampfte mich dann schreiend auf seinen Teppich zusammen.

Er stand auf und berührte meine Schulter, doch ich wies ihn nur mit einer Handbewegung ab.

Ich realisierte erst nach und nach was es wirklich bedeutete. Schreie und Wutausbrüche waren die Folge.

Collin war tot.

Mum war tot.

Dad war tot.

Meine ganze Familie. Sie alle waren nun tot. Nur ich war noch da. Konnte es mich noch schlimmer treffen? Von einen auf den anderen Tag zum Waisen. Von einen auf den anderen Tag hatte ich alles verloren.

Halt. ,,Was ist mit Anna!" Meine Augen weiteten sich schlagartig und ich schaute ihn panisch an.

,,Sie ist", begann er und hockte sich auf die Knie zu mir herunter.

,,Sie darf nicht auch noch ... Nein, nicht Anna!"

Sie war meine einzige Freundin.

Er strich mir eine Strähne aus dem Gesicht.

Bitte nicht auch noch Anna. Nicht Anna!

,,Eine Bombe traf sie ganz unverhofft. Doch sie lebt. Sie wird von den Rebellen versorgt, aber ihr Zustand ist kritisch", flüsterte er so leise, dass ich ihn kaum verstand. In seinen Augen lag wieder diese Trauer. Seine Stirn war angespannt und er atmete laut aus.

,,W-Was? Das ist ja schrecklich. Wir müssen zu ihr". Mit neuen Enthusiasmus sprang ich auf und zog ihn an der Hand, doch er hielt mich zurück.

,,Sie braucht jetzt ihre Ruhe. Wir dürfen nicht zu ihr". Er hielt mich am Arm und sah mich ernst an.

,,Na und? wir müssen doch zu ihr". Mit weit aufgerissen Augen blickte ich ihn in die Augen.

,,Warum? Damit du, wenn du jetzt da raus gehst, von den Wachen erschossen wirst?" Er wurde lauter und in seinem Blick steckte so viel Standhaftigkeit.

Danach füllte sich der Raum mit Stille.

Ich schüttelte seine Hand von mir ab, verschränkte die Arme vor der Brust zusammen und schaute traurig zur Tür, um ihn nicht ansehen zu müssen.

,,Es tut mir Leid, Mia. Es ist nur so". Er trat einen Schritt auf mich zu, doch ich wich zurück.

,,Ich kann nicht noch jemanden verlieren und vorallem nicht dich. Zu lange hatte dich das System von mir ferngehalten und ich will mir nicht ausmalen, was sie alles mit dir angestellt haben. Alleine bei der Vorstellung könnte ich ...", er fuhr mit seiner Hand durch seinen kurzen, braunen Haare.

,,Ich brauche dich. Bei mir. Ich kann mir eine Welt ohne dich einfach nicht vorstellen. Ich will dich nicht verlieren".

Wieder kamen mir die Tränen. Ich stürzte mich aus seinen Zimmer und rannte in mein Zimmer hinein. Ich musste weg. Musste das alles erst einmal verstehen. Dort setzte ich mich auf den harten Boden an der Wand und warf meinen Kopf in meinen Schoß.

Collin.

Mum.

Und Anna's Zustand war kritisch.

Eine ungewisse Zukunft und ein Lichtblick nicht in Sicht.

Ich erkannte nur noch die Aussichtslosigkeit. Nichts als Versagen kam mir in den Sinn.

Plötzlich tauchten Collin's strahlend blauen Augen vor mir auf. Ich erkannte sie deutlich vor mir. Wie er mich ansah. Mit seiner unschuldigen Art. Ich wollte ihn immer nur beschützen, doch ich hatte kläglich versagt. Er war tot, ich konnte ihn nicht helfen.

Ich stellte mir vor wie er litt, als er die Augen schloss. Er wird geweint haben. Vielleicht rief er nach mir, bevor er starb.

Er hätte mich gebraucht. Seine große Schwester. Ich hätte ihn nicht von der Seite weichen sollen. Was war ich nur für ein Mensch? Ich bildete mir seine Stimme ein. Wie er seine kleine Hände nach mir ausstreckte. Die Vorstellung riss mein Herz in viele Tausend Stücke.

Voller Frust und Hass schlug ich mit meiner Faust gegen die Wand. Ich spürte den Schmerz, der nun meine ganze Hand durchzog. Ich spürte nur den Schmerz. Nichts als Schmerz.

Ich verkroch mich weiter in die Ecke und schrie mir die Seele aus dem Leib. Es war mir egal, ob man mich hörte. Es war mir egal, ob man mich fand. Mittlerweile war es sogar soweit gekommen, dass es mir egal war, ob ich lebte oder nicht. Viel blieb mir ja nicht mehr, an dem ich mich festhalten konnte.

Ich hatte nur noch Leon und Anna, und wenn Anna nun auch noch starb. Erneut stiegen mir die Tränen in die Augen.

Was war das nur für eine Welt, in der wir lebten?

Als ich aufblickte, erkannte ich ihn. Er stand im Türrahmen, oder das was noch davon übrig geblieben war und musterte mich mit seinen traurigen Blick. Ich schloss die Augen und die Tränen malten sich einen Weg über mein Gesicht.

Schnell stand ich auf und rannte ihn in die Arme. Ich lag auf seiner Brust und hörte seinen Herz schlagen. Ich könnte es nicht ertragen ihn auch noch zu verlieren. Sein Herz sollte immer weiter schlagen. Am Liebsten für immer, damit er für immer bei mir blieb.

Ich fühlte wie er seine Hände an mein Gesicht drückte und mir ein Kuss auf die Lippen legte.

,,Wir stehen das gemeinsam durch", sagte er und drückte mich wieder fest in seine Arme. Ich nickte schniefend und presste mich stärker an ihn heran. Seine Lippen küssten mein Haar. Ich war so froh ihn jetzt bei mir zu haben.

In seinen Armen fühlte ich mich geborgen. Hier konnte mir nichts geschehen. Ich spürte seine Nähe. Er hielt mich fest und ließ mich nicht mehr los. Die ganze Nacht nicht. Er war für mich da.

Ich spürte seinen besorgten Blick auf meiner Haut, als wir uns in sein Bett legten und ich Löcher in die Wand starrte.

Ich hatte so viel verloren.

Sie nahmen mir alles.

Ich hatte nur noch ihn.

Er war jetzt meine Familie.

Das SYSTEMWhere stories live. Discover now