Epilog

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Ich hatte das Notizbuch mitgenommen. Sie hätte es gewollt. Ich saß im Auto und fuhr weiter die Autobahn entlang. Die Sicht verschwamm immer wieder unter meinen Tränen. Doch ich wollte bei ihr sein. In diesem entscheidenen Augenblick.

"Wir verabschieden uns heute von der jungen Alice Brown. Eine so junge Seele wurde zerstört, doch sie ist nicht alleine, sie ist bei Gott und...". Ich hörte längst nicht mehr zu. Mein Blick ruhte auf der Toten. Auf Alice. Auf der guten, schönen, intelligenten Alice, die ich für immer geliebt habe. Sie ist so schön wenn sie schläft. Nur ich war bei der Trauerfeier. Sonst hat es niemanden interessiert.

"Entschuldigen sie Sir, aber die Trauerfeier ist vorbei." Ich schaute dem Pfarrer ins Gesicht und er sah mitfühlend. "Es tut mir sehr leid. Es ist immer tragisch, wenn ein Kind stirbt." Ich nickte. Ich wollte nichts mehr hören. Ich wollte mich in mein Zimmer verkriechen. Alleine sein.

Ich stand auf. Der Sarg war noch offen. Ich wollte ihr noch was geben. Also legte ich mein Geschenk auf ihre Brust. Eine weiße Rose. Sie symbolisierte die Unschuld. Und sie war nicht schuldig. Ihre Eltern waren es, die immer betrunken waren und sie geschlagen haben. Die Klassenkameraden waren es, die sie gemobbt haben. Die Lehrer waren es, die nie für sie da waren.

Als ich die Nachricht von ihrem Tod erfuhr, las ich im Notizbuch. Ich wollte wissen warum sie gestorben war.

Ich setzte mich in mein Auto. Mein Anzug war nass von meinen Tränen. Doch bevor ich losfuhr nahm ich das Notizbuch. Ich laß wieder über ihre Eltern, über ihr Lehrer, über die Klasse. Aber was am Ende stand, konnte ich nicht fassen: Ein Brief, an mich adressiert:

Ich sitze wieder in meinem Teehaus. Das ist mein letzter Tag hier. Es ist vorbei. Misshandelt, beschmutzt, mit den ganzen Schlagwunden und Wunden von den Worten, gehe ich, aber bitte halte mich nicht auf. Ich war immer gern bei dir. Und ich liebe dein Teehaus. Und dich. Gottverdammte Scheisse wie ich dich liebe. Ich weiss das du eigentlich ein Mädchen bist, und du weisst das ich lesbisch bin. Verstecke dich nicht mehr hinter deinem Bart, nur weil du es auch bist, und somit erhoffst, dass dich die anderen als Mann abstempeln und das du dann eine Freundin bekommst. Bitte, zeige das du eine Frau bist und auf Frauen stehst. Ich liebe dich, so wie du bist. Und ich werde dich immer im Herzen behalten. Ich hoffe du bist nicht allzu traurig. Ich bin mir nicht mal sicher, ob du mich magst, geschweige den von Liebe. Aber ich tue es. Ist das in Ordnung? Ist das nicht abnormal?

Es ist ein Jahr vergangen. Den Brief und das ganze Notizbuch liegt jeden Tag auf meinem Nachttisch. Das Haus habe ich verkauft, an eine junge Frau namens Kassandra. Sie ist sehr freundlich, unten ist nun ein neues Café, Moon Hour. Oben wohnt sie. Ich bin umgezogen, gegenüber von dem Haus. Das Teehaus habe ich geschlossen, da es ohne Alice keinen Sinn ergeben hat. Aber jeden Abend um 9 Uhr sehe ich eine junge Frau ins Café gehen, und ich habe das Gefühl, das beide genau so schüchtern sein werden wie Alice und ich, aber trotzdem zusammen glücklich werden, wie Alice und ich leider nicht werden konnten.

Kalter TeeWhere stories live. Discover now