Kapitel 4

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Einen Moment später war die Kirche Menschenleer. Kein Wunder, ich bin ja auch knappe 100 Jahre in der Zeit zurück gesprungen. Ich bemerkte, dass irgendetwas Schweres an meinem Arm hing, und schaute an mir herab. Und tatsächlich: der Saum meines Ärmels hatte sich mit einem Zahnrädchen am Chronographen verfangen! Ich befreite meinen Ärmel und war plötzlich wie vom Donner gerührt: Ich hatte den Chronographen aus seiner Zeit entwendet! Erst jetzt wurde mir klar, was für Konsequenzen das mit sich zog: Ich würde nicht wie geplant in ein paar Stunden zurück springen! Im gegenteil: Ich würde nie wieder zurück springen! Meine Knie gaben unter mir nach und Tränen kullerten mir aus dem Gesicht. Das schöne Make-Up von Mme Rossini verteilte sich in meinem Gesicht. Mme Rossini… ich würde sie nie wieder sehen… Ich würde sie ALLE nie wieder sehen! Lady Arista, Tante Maddy, Charlotte (okay, das war jetzt nicht soooo tragisch), Leslie und… Gideon! Die Tränen kamen erneut, und diesmal viel stärker. Mein Gideon! Er war 100 Jahre in der Zukunft im Jahr 2011 und ich saß hier fest, im Jahr 1912. Plötzlich nahm mich jemand im Arm. Ich erschrak bis ins Mark und drehte mich um. Vor mir sah ich Gideon!! „Aber wie, wo was?? Wie bist du…??“ „Der Chronograph auf deinem Dach, weißt du nicht mehr?“ Er wartete keine Antwort ab, und küsste mich sanft. Nach einiger Zeit hatte ich mich wieder beruhigt und wir setzten uns auf eine der Kirchenbänke. „Was ist jetzt los zuhause?“ fragte ich ihn mit noch immer zittriger Stimme. „Natürlich waren wir alle geschockt, als der Chronograph plötzlich weg war. Falk und die anderen vom inneren Kreis hatten sich erst einmal beraten, was nun geschehen würde. Es ist klar, du kannst nicht mehr zurück, aber irgendwie musste ich ja noch springen… Es hat ganz schön gedauert, bis mir dein Chronograph wieder einfiel. Ich bin dann mit Falk zu dir gefahren.“ „ Zu mir, w-was hat meine Familie dazu gesagt?“ „Es war schrecklich! Alle waren am weinen, sogar Lady Arista und Glenda! Und oh, die arme Caroline! Sie war so schrecklich am weinen! Stundenlang musste ich sie trösten…“ „Warte mal, stundenlang?? Du warst noch nach wenigen Minuten bei mir!“ Ich war ein wenig verdutzt. „Gwendolyn, du musst anfangen, 4-Dimensional zu denken! Ich bin natürlich so gesprungen, dass ich kurz nach dir hier ankam!“ Ach ja… verlegen schaute ich zu Boden. „Was hat meine Mutter gesagt?“ „Sie hat es ganz gefasst aufgenommen. Sie meinte, immerhin seist du bei deinen richtigen Eltern, und ich könnte dir ja schließlich alles bringen, was du brauchst: Medikamente und so.“ „Apropos Lucy und Paul, die warten doch bestimmt schon auf uns! Die denken bestimmt, uns sei etwas passiert!“ Ich sprang auf. „Gwenny, jetzt warte doch mal! Erstens ist auch was passiert, und zweitens springe ich jeden Augenblick zurück!“ Ich vergaß… Gideon stand auf, und holte ein Tuch aus seiner Tasche, und wickelte den Chronographen damit ein. „Gwendolyn, ich möchte, dass du den Chronographen nimmst, und zu Lucy und Paul gehst. Ich werde sobald ich kann wieder kommen, und dir ein paar Dinge bringen.“ „Gideon, sagst… sagst du bitte allen, dass ich sie liebe? Und bitte bring es auch Leslie schonend bei.“ „Mach ich, Gwenny.“ Er stand auf, und legte seinen Arm um mich. Er gab mir noch einen Abschiedskuss, aber kaum war er ein paar Schritte entfernt, verschwand er auch schon wieder. Ich war wieder allein. Vorsichtig nahm ich den Chronographen, und machte mich auf den Weg zum Haus von Margret Tinley. Auf dem Weg viel mir Tante Maddys Vision vom Morgen wieder ein. Die Kiste mit den Diamanten musste wohl der Chronograph sein… und der hat mich ja quasi verschluckt. Jetzt ergab das einen Sinn.

Beim Haus meiner Eltern (oder eher dem Haus von Lady Tinley) machte ein junges Mädchen auf.  Sie war wohl das neue Hausmädchen. „Guten Tag, Gwendolyn mein Name. Ich würde gerne zu Lucy und Paul.“ „Kommen sie herein, sie werden im Salon erwartet.“

 Ich trat ein. Der Salon war ein gemütliches Wohnzimmer, mit einer Couch und zwei großen Ohrensesseln. An den Fenstern hingen bodenlange Gardinen mit Blumenmustern und an den Wänden hingen viele Bilder von Familienmitgliedern. Auf einem glaubte ich sogar Ururur… meinen fetten Vorfahren zu erkennen. Im Salon warteten Lucy, Paul und Lady Tinley. „Gwendolyn mein Schätzchen, da bist du ja! Was war los? Ist etwas Passiert?“ begrüßte mich Lucy. „Etwas Schreckliches ist passiert! D- der Chronograph! Er hat sich in meinem Ärmel verfangen und ist ist nun…“ Schon wieder kullerten mir dicke Tränen über die Wange. Lucy verstand, und setzte sich neben mich auf die Couch und nahm mich in den Arm. Einen Moment später war auch Paul zur Stelle. Lady Tinley stand auf, und holte ein paar Taschentücher aus der Kommode, und legte sie unauffällig auf die Couch. Dann ging sie raus zum Hausmädchen. „Bitte richten sie doch das Gästezimmer ein. Die junge Lady wird hier bleiben. Ach und legen sie ein paar Kleider für sie bereit. Sie hat wenig Gepäck dabei.“ Das Hausmädchen nickte, und machte sich daran, das Zimmer einzurichten.

Lady Tinley ging in den Salon zurück. Dort wischte ich mir gerade die Tränen aus dem Gesicht. Sie ließ uns in Ruhe und nahm sich den Chronographen. Damit ging sie zu dem vermeintlichen Bild vom fetten Vorfahr, hinter dem ein Altmodischer Tresor zum Vorschein kam. Dort deponierte sie den Chorographen. Als alles wieder an seinem Platz war, setzte Lady Tinley sich in einen Sessel und wartete.

Und sie musste lange warten. Eine halbe Ewigkeit saßen wir auf der Couch. Xemerius hätte jetzt wahrscheinlich wieder über Zimmerbrunnen geklagt. Ach, und Xemerius würde ich ja auch nicht wieder sehen… Aber vielleicht konnte ich ihn ja jetzt schon in der Kirche finden… Immerhin war er ja schon mehrere hundert Jahre alt und konnte nicht sterben oder so… Aber natürlich! Ich war ebenfalls unsterblich! Das hieße ja, ich würde noch Leben, wenn alle geboren werden! Dieser Gedanke tröstete mich sehr, und ich schaffte es, meinen Tränenfluss zu stoppen.

„Das Gästezimmer sollte jetzt eingerichtet sein. Ich denke mal, du wirst hier bleiben oder Gwendolyn?“ Das war eine rhetorische Frage, denn Lady Tinley stand auf und öffnete die Tür. Ich trat in den Flur, und wartete auf Lucy und Paul. Zusammen gingen wir ins Gästezimmer. Es war ein hübscher Raum am Ende des Flurs. Neben dem Fenster stand ein Bett mit Himmelblauer Bettwäsche. Auf der anderen Seite standen ein Schreibpult und daneben eine Kommode. In der Mitte des Raumes hing sogar ein kleiner Kronleuchter. Auf dem Bett lagen zwei Kleider und ein Nachthemd. Alle drei sahen sie wirklich niedlich aus. Leslie wäre sicher entzückt gewesen. Ich seufzte. Ach Leslie… Unsterblichkeit hin oder her, 100 Jahre sind eine lange Zeit, und genau so lange musste ich auch noch warten, bis ich Leslie wieder sehen konnte.

„So Gwendolyn, zieh dir erst einmal etwas Gemütliches an, und dann sehen wir weiter.“ Sagte Lady Tinley und sie verließ zusammen mit Paul den Raum. Lucy folgte ihnen, aber nicht ohne mich vorher noch einmal zu umarmen.

Ein Unfall mit FolgenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt