Kapitel Zwei

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Aura schwamm.

Wellen und Wind peitschten ihr ins Gesicht, sodass man nicht erkennen konnte, ob es Tränen waren, die ihre Haut hinabrannen oder kaltes Meerwasser.

Ein Tag war vergangen, seitdem sie den Mann auf dem Leuchtturm gesehen hatte. Eine Nacht und wenige Stunden bis zum Abend, in denen sich ihre Gedanken nur um ihn gedreht hatten.

Seine Haare waren dunkler geworden.

Aber sonst hatte er sich nicht verändert.

Aura kannte ihn. Aber sie wusste nicht woher und sie erinnerte sich nicht an ihn.

Aber sie wusste Dinge, die sie eigentlich gar nicht wissen konnte.

Theodor wartete auf sie am Strand. Seit dem gestrigen Abend hatte er sie nicht mehr verlassen, war immer in ihrer Reichweite geblieben. Seit dem gestrigen Abend hatte er kein Wort mehr gesagt, als würde er sich mit Dingen beschäftigen, mit denen sich ein kleiner, dreijähriger Junge nicht beschäftigen sollte.

Aura atmete ein letztes Mal tief durch, blickte ein letztes Mal zu Theodor. Dann tauchte sie unter, das Wasser schlug über ihrem Kopf zusammen.

Sie sank hinab, öffnete ihre Augen, beobachtete schweigend das schwarze Blau.

Stille.

Stille, nur ihr eigener Herzschlag.

Sie sah ihn vor sich. Seine braunen Haare, seine braunen Augen. Die gebräunte Haut, die kupfern in der Sonne schimmerte.

Sein Lächeln, sein Lachen. Das Glück in seiner Stimme, als er ihren Namen sagte.

Aura brach aus dem Wasser hervor, schnappte nach Luft, drehte sich noch im Aufkommen zum Leuchtturm, suchte nach ihm.

Doch er stand nicht an der Brüstung.

Auras Blick huschte weiter zu Theodor. Noch immer saß er am Strand, hatte seine Arme um die Beine geschlungen, presste Flappi fest an seine Brust.

Sie sah von der Entfernung, dass er zitterte und weil er nicht ohne sie zum Haus gehen würde, schwamm sie zurück zum Strand.

„Er ist wieder weg." Theodor kam ihr entgegengerannt, griff nach ihrer kalten, nassen Hand. Sie erwiderte seinen Händedruck.

„Glaubst du, er wird zurückkommen?"

Er sah zu ihr hoch.

„Ich mag ihn, Aura. Ich will nicht, dass er geht."

Das junge Mädchen lächelte. Ein trauriges Lächeln.

„Er macht dich glücklich, Aura. Ich will nicht, dass er geht. Er soll zurückkommen."

Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Blickte nur schweigend zum Leuchtturm.

„Woher weißt du, wann er geht und wann er kommt?", fragte sie ihn leise.

Diesmal war er es, der nicht antwortete.

„Erinnerst du dich?" Seine blauen Kulleraugen blickten sie an. „Aura? Erinnerst du dich an ihn? Oder an irgendetwas?"

Hoffnung strahlte aus seinem kleinen Gesicht. Hoffnung, die direkt von seinem kleinen Herzen zu kommen schien.

Erinnerte sie sich? Waren das Erinnerungen?

Sie erinnerte sich daran, dass Theodor derjenige gewesen war, der sie am Strand gefunden hatte. Und sie erinnerte sich daran, dass sie ihn von irgendwoher gekannt hatte, obwohl sie ihn zuvor noch nie gesehen haben konnte.

Sie war sechzehn gewesen, als er geboren worden war. Und in dieser Zeit wurde sie bereits seit sieben Jahren irgendwo festgehalten.

Sie erinnerte sich an nichts aus dieser Zeit. Wusste nicht einmal, ob sie sich daran erinnern sollte, oder ob sie sich überhaupt daran erinnern wollte.

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