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Der Druck auf meinem Brustkorb nahm zu, die Luft wurde aus meinen Lungen gepresst und ich spürte die kalte, tote Erde auf meiner Haut.

Doch schon nach wenigen, unangenehmen Sekunden, ließ all das von mir ab und mich umfing nichts als kühles, sanftes Wasser. Diesmal ohne Gewitter und Sturm, ohne Strömungen und hohe Wellen. Nur wohltuendes, ruhiges Wasser.

Aber die Magie der Perlenkette, die mich atmen lassen konnte, würde vielleicht an Wirkung verlieren; das wollte ich gar nicht erst auf die Probe stellen. Ich beeilte mich, an die Oberfläche zu schwimmen.

Endlich durchstieß ich den Wasserspiegel, genoss den Sauerstoff, den ich inhalierte. Ein derart veränderter Geruch... nicht mehr überwiegend nach Blumen und Regen. Hier lag ein Duft nach vergangener Hitze in der Luft, leicht trocken und verbrannt, und dennoch süßlich. Die Pflanzen litten unter den Folgen des heißen Spätsommers. Dazu wehte der Geruch nach Rauch und Grillfleisch herüber, zusammen mit dem von Mischbier und Kurzen.

Eine typische Jahrgangsfeier am Goldsee. Unser Goldsee, klein und mit brackigem Wasser, eine grünliche Oase neben dem Industriegebiet, ein lächerlicher Abklatsch zu dem in Joshuas Welt.

Ich begann zu strahlen. Erleichterung durchflutete jede Faser meines Körpers. Zuhause. Sicherheit. Ich warf den Kopf in den Nacken und fixierte den hellen Schein des silberweißen Mondes.

Neben mir tauchte Joshua auf. Erschrocken schnappte er nach Luft, als er das veränderte Landschaftsbild wahrnahm, das Hämmern des entfernten Basses hörte und in das Mondlicht blinzelte. Ich lächelte glücklich. Ich kannte das Gefühl zu gut, welches ihn gerade überrollte.

Er war wohlbehalten mit mir angekommen. Jetzt war alles vorbei. Wir waren unendlich weit von unseren Verfolgern entfernt. Wir waren unantastbar.

Unsterblich.

Ich zog Joshua zu mir, bedeutete ihm, an Land zu schwimmen. Nach wenigen Augenblicken saßen wir klatschnass auf dem kühlen Sand, in brackigem Seewasser getränkt, unvergleichbar mit dem der Parallelwelt - trotzdem wunderbar.

Mir liefen vor Freude stille Tränen die Wangen hinab. Ich ließ mich auf den Rücken fallen und fühlte mich, als würde ich vor Gefühlen platzen müssen. Ich wollte lachen und weinen, tanzen und schreien... und schlafen. Ich hatte Heimweh. Aber wann war ich das letzte Mal so glücklich gewesen, dass es wehtat? So erleichtert, dass mir schwindelig wurde?

Neben mir sackte Joshua auf den Boden zusammen. Mit leicht geöffnetem Mund starrte er auf die bunten Lichter, die vom Partyzelt am anderen Ufer herüberblitzten. Dann glitt sein Blick wieder hoch zum Mond, den er das erste Mal in seinem Leben sah.

"May... das... das ist fantastisch..." Er hauchte die Worte lediglich, doch er lachte. Er lachte heiser und ungläubig, aber auch glücklich.

Wir waren endlich angekommen.

Ich richtete mich auf, drehte mich zu Joshua und ergriff seine Hand.

"Danke", murmelten wir leise im Chor. Nach einer kurzen Stille brachen wir in ein ruhiges Lachen aus. Ich konnte einfach nicht aufhören, den Moment zu genießen. Die Euphorie hatte Besitz von mir ergriffen und übermannte mich wie ein Rausch.

An dem Funkeln in Joshuas Augen konnte ich sehen, dass es ihm nicht anders ging. Er lächelte benebelt und strich mir die nassen Haarsträhnen aus dem Gesicht. Ich fiel ihm in die Arme und wollte ihn nie wieder loslassen. Wir hatten einander gerettet.

Ich hob den Kopf und schaute lange in Joshuas kalte, blaue Augen, in denen sich meine eigenen Gefühle widerspiegelten.

Und endlich, in Ruhe und Frieden, legte er mir sachte zwei Fingerspitzen unter das Kinn und zog meinen Kopf zu sich heran.

Golden FairytaleWhere stories live. Discover now