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Jace war ein paar Mal über den Steg hin- und hergelaufen und dann zerstreut zurück zum Partyzelt gegangen.

Ich lehnte mich zurück, den Rücken auf das harte, aber noch warme Holz des Steges gepresst. Über mir ging der Himmel von Osten nach Westen von Dunkelblau in Orange-Pink über. Im Dunkelblau funkelten die ersten hellen Pünktchen. Sterne.

Hell, aber zu klein, um im Wasser widergespiegelt zu werden.

"Jace' Amulett...", begann Lilian leise, aber sprach nicht weiter.

Ich griff das Thema auf. "Ohne sein Amulett - ist Jace einfach anders, oder?"

"Ja... der hat es noch nie abgenommen, noch nie. Seit er in unsere Klasse gekommen ist. Weißt du was über das Amulett?"

Ich schüttelte den Kopf, den Blick noch immer in den Himmel gerichtet.

"Nein, ich weiß generell gar nichts über ihn. Es... ist total bescheuert, aber ich glaube, ich mag ihn nur so sehr, weil... es ist das Amulett und die Tatsache, dass er auf alle Menschen diese Wirkung hat. Ich glaube manchmal wirklich, es hat etwas mit der Kette zutun."

Lilian schürzte die Lippen. "Er hat es nie abgenommen, nie. Er hat immer eine Sechs für Arbeitsverweigerung in Sport kassiert, weil er es nicht weglegen wollte, weißt du noch?"

"Klar... das hat ihn immer so... ich weiß nicht."

" - geheimnisvoll wirken lassen? Finde ich zumindest."

Ich fuhr aufgeregt hoch. "Genau! Genau das habe ich auch gedacht. Wegen diesem Amulett... ich sollte es vielleicht mal suchen."

Sie nickte zustimmend. Ich griff nach meiner Tasche, erhob mich, und lief über den Steg an das Ufer.

Lilian ging links entlang, ich rechts, vielleicht war etwas in dem niedrigeren Wasser zu finden.

In der beginnenden Dunkelheit und dem dichten Schilf und Gras war kaum etwas zu erkennen.

Aber wenn ich diejenige sein könnte, die Jace das Amulett wiederbringen würde, dann würde er das nicht einfach vergessen. Es ist Psychologie - er wird mich automatisch als besser ansehen, wie auch immer sich das definiert. Hübscher?

Vielleicht. Aber endlich würde ich ihm richtig auffallen.

Lilian war mittlerweile aus meinem Blickfeld verschwunden, aber vorher hatte ich noch gesehen, wie sie mir alle paar Minuten gehetzte Blicke zuwarf. Sah sie mich nun als Konkurrentin?

Wow - war Jace es das Wert? Eigentlich nicht.

***

Nach fast einer halben Stunde, als die Sonne gerade hinter den Bäumen um den See verschwand, setzte ich mich hoffnungslos in den groben, trockenen Sand neben dem Steg ans Ufer. Der Wind warf winzige Wellen über das Wasser, es wurde kühler.

Wo war Lilian? Suchte sie immer noch? Es war unmöglich, ich gab auf. Eine filigrane, wertvolle Kette, mitten im Wasser des eigentlich nicht großen, aber für ein Schmuckstück immerhin noch relativ riesigen Goldsees.

Ich beugte mich vor, und blickte meinem verschwommenen Spiegelbild in die Augen. Warum hat Jace nicht selbst mitgesucht? Waren wir seine Angestellten? Langsam aber sicher wurde es mir zu viel, jahrelang auf ihn zu stehen und heute das längste Gespräch meines Lebens mit ihm geführt zu haben. Es wird nichts draus, May, du hast keine Chancen.

Aber es war trotzdem ein gelungenes Jahrgangsfest. Die Oberstufe...

Ich sah einen violetten Schimmer im Spiegelbild meiner Augen. Das pulsierende Licht des Partyzeltes wurde von irgendetwas reflektiert. Ich hatte den bunten Lichtern den Rücken zugewandt.

Es war... Gold. Halb unter dem schlammigen Sand des Grundes verschwunden. Strahlend sprang ich auf, nahm meine Tasche und Schuhe, und lief Barfuß mit hochgekrempelten Hosenbeinen in das niedrige Wasser.

Da war etwas. Hoffentlich das Amulett.

Ich beugte mich hinunter, und versuchte es in die Finger zu bekommen.

Ja, die raue, feine Kette, sie war es ganz sicher. Und der kleine Anhänger?

Ich zog es hoch. Irgendwo hakte es fest, an einer Wasserpflanze oder einem Stein.

Mein ganzer Arm war bereits unter Wasser, ich konnte nicht noch tiefer gehen.

Seufzend wollte ich mich wieder aufrichten. Ich brauchte einen langen Stock, womit ich es aus der tiefen Erde ziehen konnte.

Aber es hielt mich fest. Ich zerrte daran und wollte aus dem Wasser, aber es krallte sich um mein Handgelenk und meine Finger und ich spürte die nasse, kalte Erde auf meiner Haut. Es zog mich in die Tiefe.

Panisch riss ich meine Hand hoch, doch ich konnte nicht, diese feine, schwache Kette hielt mich eisern fest.

Ich ging in die Knie, mir war vollkommen egal, wie nass ich wurde.

Mit zitternden Fingern versuchte ich, die Kette von meinen Gelenken zu lösen.

Es war aussichtslos, das Wasser stand mir bis zum Hals. Ich wollte nach Luft schnappen, doch die sanften Wellen schlugen mir in den Mund.

Es war, als würde es gar nicht wirklich passieren.

Es blieb ruhig, die Wellen sanft, ich brachte keinen Ton heraus, war wie gelähmt. Der Grund des Sees verschlang mich immer weiter.

Ich war gefangen in mir selbst, so sehr ich auch versuchte, dem Sog des Goldsees zu entkommen.

Ich durfte nicht ertrinken, das konnte nicht wahr sein.

Mir wurde eiskalt, um mich herum wurde es dunkel und still, der See begrub mich unter sich.

Ich rang verzweifelt nach Luft, aber schmeckte nur das dreckige Wasser.

Mit aller Kraft schlug ich um mich, mit aller Macht, die ich noch besaß, wehrte ich mich.

Ich schrie, meine Angst und Panik bahnten sich ihren Weg nach draußen, zusammen mit dem letzten Sauerstoff, den meine brennenden Lungenflügel hergeben konnten.

Schwindel, Schmerz und Orientierungslosigkeit ergriffen Besitz von mir.

Was der Goldsee sich nimmt... behält er... für immer...

***

Strampelnd und nach Luft lechzend rang ich mich zur Oberfläche durch. Meine vollgesogenen Klamotten und die Tasche über meiner Schulter machten mich schwer und zogen mich immer wieder unter Wasser.

Ich war zu lang nicht mehr schwimmen gewesen, die alte Ausdauer war längst verschwunden, und es war ein Kampf, nicht unterzugehen, auf der weiten Strecke zum Ufer. Der Goldsee schien plötzlich deutlich größer geworden zu sein.

Ich hatte keine Zeit und Kraft mich weiter umzusehen, hohe Wellen schlugen mir ins Gesicht und nahmen mir den Atem.

Immer wieder blitzte grelles Licht vor meinen Augen auf und machte mich sekundenlang blind.

Kälte und Sturm fuhren mir durch die Gliedmaßen und über mir grollte schmetternder Donner.

Ich befand mich exakt in der Mitte eines Sees, mindestens doppelt so groß wie der Goldsee.

Über mir tobte ein Jahrhundertgewitter, überall schlugen die Blitze in die Erde, mehr erkannte ich nicht.

Mitten in einem See... bei einem Gewitter... gleich war ich tot.

Aber diesmal ohne letzte Rettung.

Es wird weitergehen...
Viel Glück, May :)

Danke für die Motivation, fürs Folgen und Bewerten und einfach nur Reinlesen!

Liebste Grüße,

Eure     dragon_flies_

Golden FairytaleWhere stories live. Discover now