18. Die Frage

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Unausgeschlafen stand ich diesen Morgen vor allen anderen auf. Ohne etwas zu frühstücken, trat ich hinaus vor die Tür.

Die Geschehnisse des gestrigen Tages spukten nach wie vor in meinem Kopf. Sie hatten mich gestern noch stundenlang vom Einschlafen abgehalten, obwohl ich todmüde gewesen war. Gerade die Worte, die Jeff mir am Abend noch entgegen geschleudert hatte, hatten mich ziemlich aus der Bahn geworfen. Denn genau genommen hatte er Recht. 

Die Luft war kühl und etwas feucht und das Gras raschelte unter meinen Schritten, als ich eine großzügige Runde, um das Haus zog. Es war ziemlich groß. In jedem der Räume stand so unfassbar viel Zeug herum, dass ich mir der tatsächlichen Größe der Wohnfläche bisher gar nicht so richtig bewusst gewesen war. Umgeben war die Villa von einer hohen, bleichen Wiese, die sich bis an den Waldrand erstreckte. Doch etwa 300 Meter östlich der Haustür erhob sich eine kleine Baumgruppe aus dem Gras. 
Dort angekommen, lehnte ich mich an die Rinde eines Apfelbaumes, der schon ziemlich kränklich und dementsprechend kahl aussah. Mir war etwas schwindelig. 

Mit der Angst, der Panik und der Selbstverletzung war die Appetitlosigkeit gekommen. Und mit ihr die Furcht vorm Zunehmen. Ich zwang mich dazu weiterzugehen.

Als ich am späten Mittag wieder zu dem hellgrauen Haus zurückging, traf ich BEN auf der Veranda an. Zu meiner Überraschung trug er dieses Mal nicht sein Link Kostüm, das ihn immer ein bisschen aussehen ließ, wie einen kleinen grünen Gartenzwerg, sondern ein, ihm zu großes, weißes Herrenhemd und Boxershorts. Als er mich sah, breitete sich ein verschlagenes Grinsen auf seinem Gesicht aus. Zwischen den Fingern drehte er eine qualmende Zigarette. Der Rauch wurde vom Wind weggetragen, der an meinen schwarzen Haaren riss.
„Du warst schon die ganze Zeit wach?", fragte BEN und zog dabei die Augenbrauen hoch. Seine Augen weinten unablässig Blut. Ich nickte und setzte mich zögerlich neben ihm auf die Stufen. 
„Ben.", fragte ich schließlich. „Kann ich dir eine Frage stellen?"
Seine roten Augen bohrten sich in meine. „Klar." 

Er zog den giftigen Rauch tief ein, hustete und klopfte sich auf die Brust. „Hast du gerade erst angefangen?", nickte ich auf den Glimmstängel. Der falsche Link runzelte irritiert die Stirn.
"Das war deine Frage?" „Nein, es fällt nur auf", merkte ich an, woraufhin er die Zigarette schlecht gelaunt neben sich ausdrückte. „Und was wolltest du eigentlich wissen?" In seiner Stimme lag deutlich der Missmut. Das passte schon viel besser zu seinen kindlichen Gesichtszügen. „Was zeichnet für dich echte Stärke aus?", rückte ich nach einem kurzen Moment heraus. Ich stierte dabei auf meine Schuhspitzen. Irgendwie war mir die Frage plötzlich etwas unangenehm, auch wenn ich nicht genau wusste, wieso. 

BEN hob verdutzt seine Augenbrauen, bis sie fast unter seinem hellen Haar verschwanden. 
„Es ist zu früh fürs Denken.", maulte er dann und starrte finster zu seiner unbrauchbaren Zigarette hinüber, als würde er ihre frühzeitige Zerstörung schon wieder bereuen.
„Ich dachte es käme irgendwas Anständiges, das was mit Rummachen zu tun hat oder so."
Jetzt war es an mir die Stirn zu runzeln. "Du hast wirklich eine wilde Fantasie.", entgegnete ich dann schnippisch und erhob mich. Warum hatte ich auch nur für einen Moment geglaubt, irgendeine brauchbare Antwort zu bekommen? Gereizt wandte ich mich ab. 

Als ich das Wohnzimmer trat, saß Laughing Jack zusammen mit Eyeless auf der Couch und schenkte mir über den Rand der lädierten Lehne ein breites Grinsen. „Zieh doch deine Schuhe aus.", nölte Helen, der gerade aus der Küche trat.
Um seinen Fuß hatte Eyeless gestern noch einen Verband gewickelt, er humpelte, war aber ansonsten wieder ganz der Alte. Auch seine feindselige Haltung schien offensichtlich unverändert. Gerade jetzt warf er mir einen besonders giftigen Blick zu, während er mit einem vollgeladenen Teller Richtung Sessel schlurfte. Eilig streifte ich mir meine Turnschuhe von den Füßen. 

„Wurdest du gestern verletzt?", fragte Eyeless unvermittelt. Er hatte seine Maske hochgeschoben und unterzog mich aus seinen leeren Augenhöhlen einer kritischen Musterung. 
"Nein?", wehrte ich ab. "Wie kommst du drauf?"
„Vielleicht weil um deinen Unterarm gefühlte drei Meter Mullbinde gewickelt sind?" Eyeless deutete mit zerfurchter Stirn auf mich und erhob sich dabei auch schon. "Wurdest du angegriffen? Ich sollte mir das auf jeden Fall mal ansehen." Er kam viel zu schnell viel zu nahe. Ich wich zurück.
„Nein... das ist... nichts.", stammelte ich, zugegeben nicht besonders überzeugend. Die Skepsis, die sich jetzt im Raum ausbreitete, konnte man förmlich greifen. Ich spürte die Wand in meinem Rücken. Eyeless stand zwischen mir und der Haustür, und um zur Treppe zu gelangen, müsste ich am Sofa vorbei. Meine Handinnenflächen begannen zu schwitzen. 
„Sie ist gestern im Wald hingefallen und hat nur ein paar Kratzer abbekommen. Das ist die Sorge echt nicht wert." Helen hatte unverhofft das Wort ergriffen und zog damit die Aufmerksamkeit der anderen beiden Jungen auf sich. Wer hätte je gedacht, dass mich so harte Worte jemals so glücklich machen könnten?

Ich wagte es nicht Helen zuzulächeln, als ich die Treppe nach oben schlich.

Tödliches Spiel (Jeff the Killer FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt