Kapitel 31

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Heute war ein besonderer Tag, zumindest für ihn. Fünfundzwanzig Jahre war er nun schon alt, doch die Zahl sagte nichts darüber aus, dass er sich trotzdem seit über einer Woche fühlte, wie ein Hals über Kopf verliebter Teenager. Avriel war so aufgeregt, wie schon seit Jahren nicht mehr an seinem Geburtstag.
Mit Kirstie, Scott, Mitch und Kevin hatte er bereits telefoniert. Sie hatten ihn mit Glückwünschen überschüttet und mit Fragen gelöchert, bis er sie lachend stoppen musste. Soviel wie sie von ihm wissen wollten, konnte er garnicht auf einmal beantworten, doch von dem, was er mit Sina erlebte, hatte er ihnen nichts erzählt. Auch Esther und seine Mutter hatten ihm bereits gratuliert. Nur eine Person, die ihm in den letzten Tagen und Wochen über alle Maßen wichtig geworden war, wusste nichts von seinem Geburtstag: Sina. Für die junge Frau und sich hatte er heute etwas ganz Besonderes vor, etwas, womit er sie überraschen wollte.
Verträumt in sich hinein grinsend knöpfte Avi Kaplan die Manschettenknöpfe seines Hemdes zu und ging in das Badezimmer, um zu überprüfen, ob sein straffer Zopf noch immer so saß, wie er es haben wollte. Gestern war er ausschließlich für den heutigen Anlass in Rostock gewesen und hatte sich eine neue, edlere schwarze Hose und ein schwarzes Sakko zugelegt.
Eben dieses nahm er nun, nachdem er zufrieden mit Frisur und Bart aus dem Bad getreten war, von dem Kleiderbügel, auf dem es gehangen hatte.
Noch immer grinste er freudig vor sich hin. Sina hatte der Basssänger nicht viel gesagt, nur dass er sie einlud und hatte sie gebeten, sich dementsprechend schick anzuziehen. Verdutzt und neugierig zugleich hatte sie gefragt, was er vorhatte, doch kein Wort war über seine Lippen gekommen. Sie sollte sich überraschen lassen.

Während sie immer und immer wieder den Lockenstab an ihren Haaren ansetzte, um diese ebenso edel wirken zu lassen, wie das weinrote, halblange Kleid auf ihrer Hüfte, grübelte Sina noch immer darüber nach, was der amerikanische Sänger wohl mit ihr unternehmen wollte und warum genau heute, doch ihr fiel kein guter Grund ein. Vielleicht wollte er auch einfach nur ihr erstes Abendessen wiederholen.
Gedankenverloren trug sie etwas Schminke auf und suchte schließlich ihre kleine Handtasche, als es auch schon an ihrer Tür klingelte.
Ist es nicht noch etwas früh?, schoss es der jungen Frau durch den Kopf.
Sina schaute, wieder in dem mittelgroßen Wohnzimmer angekommen, auf die Uhr an der Wand. Es war 17:30 Uhr. Eigentlich hatte sie noch eine halbe Stunde Zeit, bis Avriel sie abholen wollte... Stirnrunzelnd begab sich Sina zu der Tür, öffnete diese und stellte verdutzt fest, dass nicht Avriel, sondern Josua davor gestanden hatte.
"Hallo Sina.", setzte ihr bester Freund sogleich an, stockte jedoch, als er sah wie edel gekleidet sie gerade vor ihm stand. "Oh... Komme ich ungelegen?"
"Nein, nein.", beschwichtigte sie lächelnd seine Bedenken. "Komm doch rein."
Der blondhaarige Mann ließ sich das nicht zweimal sagen. Neugierig beäugte er die junge Frau und fragte schließlich:
"Hast du heute noch etwas vor?"
Sina schmunzelte.
"Avriel kommt gleich und holt mich ab."
Die schlanke Frau konnte mitansehen, wie Josua immer breiter grinste.
"Aha? Wo geht's denn hin?"
"Ich weiß es selbst nicht. Er meinte nur, dass ich mich überraschen lassen soll.", antwortete sie, während sie an einem Glas Wasser nippte.
"Dann sollte ich wohl wieder gehen."
"Nein, bleib ruhig noch. Was wolltest du eigentlich?"
"Ach, eigentlich wollte ich nur fragen, ob du Lust hast, mit Pia und mir feiern zu gehen, aber wie ich sehe hast du schon was anderes vor.", erklärte er, während er sich auf einen der Sessel im Wohnzimmer fallen ließ.
"Tut mit leid, Josua. Das holen wir nach.", lächelte die Rothaarige und legte eine Hand auf seine Schulter.
Auch er schmunzelte nun.
"Ist gut."
Eine Weile unterhielten sie sich noch, dann sagte er: "Dann geh ich mal und lass die Turteltäubchen ihren Abend genießen."
Grinsend stand der Blonde aus dem Ledersessel auf und zwinkerte ihr noch ein letztes Mal zu, bevor er durch die Wohnungstür verschwand.
Lachend verdrehte Sina ihre Augen. Er konnte es einfach nicht lassen, sie damit aufzuziehen, obwohl er wusste, dass noch lange nicht alles zwischen Avriel und ihr geklärt war. Ihrer eigenen Gefühle war sich die Rothaarige sicher, doch was seine anbelangt nicht. Der Kuss vor zwei Wochen gab ihr immer noch zu denken. Es war ein unbeschreiblicher Moment zwischen ihm und ihr gewesen, ein Moment, wie sie ihn noch nie erlebt hatte und doch war es ein einmaliges Ereignis gewesen. Nie hatte der Braunhaarige danach Anstalten gemacht, noch einmal seine weichen Lippen auf die ihren zu legen, auch wenn sie sich das so sehr gewünscht hatte... Jeden Tag, den er mit ihr verbrachte, hoffte sie auf erneute Zärtlichkeiten, doch mehr als eine Umarmung hier und da wurde nie daraus.
Mitten in diesen Gedanken schreckte die junge Frau zusammen. Es war das laute Läuten der Klingel gewesen, das sie zusammenfahren lassen hatte.
Mit geschwindem Schritt näherte sie sich wiederholt ihrer Wohnungstür.

Eigentlich hatte sich Avi Kaplan geschworen, ihr all ihre Fragen, die sie ihm vor einigen Tagen gestellt hatte, heute zu beantworten, doch kaum war die helle Tür aufgegangen, hatte es ihm die Sprache verschlagen. Wieder einmal konnte er seine Augen nicht von der Frau, die nun vor ihm stand, abwenden. Mit jedem Mal, wenn er sie sah, wurde die Rothaarige schöner und schöner und die Anmut, die sie jetzt gerade ausstrahlte, übertraf alles.
Noch nie waren ihre Haare so lebhaft und elegant zugleich über ihre Schultern gefallen und noch nie hatte das Blau in ihren Augen so gefunkelt, wie in diesem Moment. Das federleicht aussehende, weinrote Kleid schmiegte sich sanft um ihren zarten Körper und ließ sie so beinahe zerbrechlich wirken.
"Avriel...", hörte er ihre helle Stimme sagen.
"Guten Abend, Sina.", schmunzelte er, langsam seine Stimme wiederfindend.
"Kommst du noch kurz rein? Ich muss noch mein Portemonnaie suchen und dann..."
"Das brauchst du nicht. Nicht heute.", sagte er und hielt sie an einer Hand fest, als sie sich zum Gehen gewandt hatte.
"O-Okay.", meinte die junge Frau, griff nach ihrer dunklen Handtasche und schloss die Tür hinter sich ab.
Avriel lächelte sie erneut an. Er sah ihre Verunsicherung und doch tat diese ihrer Schönheit nicht im Geringsten ab.
Auffordernd hielt er ihr seinen Arm hin. Dankbar zu ihm auflächelnd hakte sie sich bei ihm ein. Auch wenn er versuchte es sich nicht anmerken zu lassen, elektrisierte ihn ihre Nähe noch immer, wenn nicht sogar stärker, wie damals, als er seine Lippen auf ihre legen durfte. Warum hatte er das eigentlich so lange nicht mehr getan? Worauf wartete er? Waren vielleicht immer noch Bedenken tief in ihm, die er bis jetzt nur verdrängt hatte?

BasstoneWhere stories live. Discover now