Der Rat

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Langsam stieg ich die Treppen empor, die aus dem Laubengang hinaus zu dem runden Ratstisch führte, um den bereits kunstvoll verzierte Holzstühle aufgestellt worden waren. Die Hälfte war bereits von Elben aus dem Düsterwald und Bruchtal belegt und auch Aragorn sass schon auf einem der Stühle. Zu beiden Seiten Elronds sassen Lindir und Glorfindel und unterhielten sich angeregt mit dem Herrn Bruchtals. Auf der anderen Seite des Stuhlkreises hatte die Delegation des Düsterwaldes Platz genommen und führte leise Gespräche auf Sindar.

Geräuschlos trat ich an Aragorn heran.

„Mae govannen, dùnadan (*frei:Guten Tag, Waldläufer(eigentlich Numenorer)*)"

Aragorn zuckte leicht zusammen und bewies mir erneut, wie lautlos meine Schritte waren.

„Lossiel, schön dich wieder zu sehen. In den letzten Tagen bekam man dich nicht oft zu Gesicht.", sagte der Waldläufer erfreut, nachdem er sich auf seinem Stuhl zu mir umgedreht hatte.

„Ich brauchte etwas Zeit für mich.", antwortete ich knapp aber nicht unfreundlich und setzte mich ohne zu fragen auf den freien Platz zwischen ihm und Glorfindel.

Lässig schlug ich die Beine übereinander, verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte mich zurück, wobei mein Schwert dumpf an die Stuhlbeine schlug. Missbilligend zog Aragorn die Augenbrauen zusammen und fragte: „Musstest du dein Schwert an eine Ratssitzung mitnehmen, an welcher sich alle Völker friedlich gegenübertreten wollen?"

Gerade wollte ich etwas erwidern, als zu meiner Linken ein leicht belustigter Glorfindel an Aragorn gewandt meinte: „Herr Aragorn, diese Elbin würde sich niemals von ihrem Schwert trennen, nicht einmal, wenn Frau Galadriel es ihr befehlen würde."

Ich schenkte meinem alten Mitstreiter einen dankbaren Blick. Schon seit dem Ersten Zeitalter hatten wir in vielen Schlachten Seite an Seite gekämpft. Er wusste, wer ich war und ich konnte mich darauf verlassen, dass er mich nicht verraten würde.

„Aber wir können doch in Imladrs nicht angegriffen werden.", versuchte Aragorn uns zu erklären. Meine Miene verdunkelte sich und ich sagte düster: „Weshalb glaubst du, sahst du mich noch nie ohne meine Waffe, selbst hier in Imladris? Alles ist möglich. Seit Gondolin weiss ich das. Auch Kleider trage ich seit diesem Tag nicht mehr. Darin lässt sich nicht kämpfen."

Gedankenverloren zupfte ich meine Bluse zurecht. Auch Glorfindel war in Schweigen versunken, wahrscheinlich erinnerten wir uns gerade beides des bitteren Verrats, der über die verborgene Stadt gekommen war.

Der runde Tisch vor mir verschwand, an seine Stelle traten zerstörte Strassenzüge, brennende Marktstände und die verängstigten Elbenkinder, die auf mich zugerannt kamen;verstört, die Angst in ihren Augen...

„Lossiel", jemand stupste mich leicht am Oberarm und ich kehrte wieder in die Wirklichkeit zurück, „Der Rat beginnt gleich."

In Glorfindels Augen glaubte ich Besorgnis lesen zu können, als er seine Hand von meinem Arm nahm.

Ich zwang mich, meine Augen von dem verzierten Steintisch zu nehmen und musste feststellen, dass beinahe alle Stühle bereits besetzt waren. Lediglich zwei Ratsmitglieder wurden noch erwartet.

„Verzeih', ich war gerade in..."

„Gondolin, ich weiss.", sagte der blonde Elb vorsichtig.

Wir schwiegen wieder und ich schloss die Augen. Wie hatte ich so schwach sein können und die Erinnerungen in mir hochkommen lassen? Die Schlacht um Gondolin war bei weitestem nicht der schrecklichste Kampf gewesen, an dem ich teilgenommen hatte, doch wer einmal den Frieden Valinors gesehen hatte, war nicht imstande, je wieder ein Bild der Gewalt aus seinen Erinnerungen zu verdrängen. Auf einmal wurden die Gespräche der Anwesenden leiser und erstarben schliesslich ganz. Ich öffnete meine Augen wieder und sah, dass nun auch Gandalf und Frodo zu uns gestossen waren.

Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt