Die Reiter von Rohan

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Kalt pfiff der Wind um uns, als Gimli und Aragorn sich am folgenden Morgen von ihren bescheidenen Schlafplätzen erhoben. Trotz der nächtlichen Rast sahen die beiden zermürbt und müde aus. Nicht einmal das Licht der aufgehenden Sonne vermochte es, die tiefen Schatten unter ihren Augen zu vertreiben. Der eisige Wind, der unentwegt über den Bergkamm jagte, auf welchem wir bei Sonnenuntergang zu Rast gehalten hatten. Sein Heulen hatte dem Zwerg und dem Menschen eine unruhige Nacht beschert. Legolas war vor sich hin singend auf und ab gelaufen und hatte über den Schlaf unserer Gefährten gewacht. Ich jedoch hatte nur Augen für den Nachthimmel gehabt. Gegen Mitternacht war plötzlich der Vorhang aus trüben Wolken aufgerissen worden und hatte den Blick auf die abertausend Sterne freigegeben. Starr war ich da gestanden und hatte in ihrem tröstenden Licht nach etwas gesucht, woran ich mich festhalten konnte. Der Wind hatte an meinen Kleidern gezerrt und mir die Haare zerzaust. Ihm hatte ich alle meine Gedanken anvertraut und nach langen Stunden, in denen ich als einsame Statue auf diesem Berg gestanden war, hatte er mich reingewaschen von all dem Nachdenken und Zweifeln, das meinen Kopf ausgefüllt hatte. Und in der Stille meiner Gedanken war es mir endlich möglich gewesen, die Wahrheit zu akzeptieren.

Ich werde sterben. Einsam und verlassen, in einer Welt, in der ich zwar geboren bin, die ich aber nie mein Zuhause genannt habe.

Lautlos wiederholte ich in meinem Kopf die Worte, die ich mir zurechtgelegt hatte, um mich an mein Schicksal zu erinnern.

Ich werde sterben.

Meine Lippen verzogen sich zu einem traurigen Lächeln und ich wandte mich von der aufgehenden Sonne im Osten ab, um langsam zu meinen drei verbliebenen Gefährten zu gehen. Mit dem Verblassen der Sterne war die Bitterkeit, die diese Wahrheit in sich barg, zurückgekehrt. Ich verstand nun die Trauer und Wut in den Augen sterbender Menschenkrieger, denn auch ich würde in dem Wissen sterben, nicht all meine Absichten vollbracht zu haben. Ich bewunderte die Sterblichen für die Kraft, tagein tagaus ein normales Leben zu führen, ohne zu verzweifeln. Denn jeder Atemzug brachte sie näher an das Ende.

Vielleicht ist es gut, dass es so endet., dachte ich betrübt, als ich durch das feuchte Gras auf die drei zu lief, Ich hätte ihnen niemals die Wahrheit über den Raub der Silmaril erzählen können. Ich wäre mein restliches Leben mit einer Lüge im Herzen durch die unsterblichen Lande gewandelt.

Mit einem knappen Kopfnicken begrüßte ich Gimli, der still neben Aragorn und Legolas stand. Beide blickten angestrengt nach Westen, wo sich am Fuße des Methedras – des letzten Ausläufers des Nebelgebirges - der Fangorn erhob. Die Entwasser flossen als schmales Silberband aus dem Schatten der Bäume hervor und schlängelten sich geschickt durch die hügelige Landschaft vor uns.

Plötzlich warf Aragorn sich zu Boden. Ich blickte irritiert auf den Waldläufer, der ausgestreckt auf der Erde lag. Neben mir beschattete Legolas seine Augen. Ich tat es ihm gleich und erkannte sogleich den Grund für Aragorns Aufregung. Weit im Westen – für ein Menschenauge wahrscheinlich nur als kleiner Punkt zu erkennen – ritt eine große Gruppe von Reitern auf die Höhenzüge im Süden zu. Spitze Speere glänzten in der Sonne und ihre langen blonden Haare flatterten im Wind. An die hundert Mann mussten es sein, die auf stolzen Pferden durch das kahle Land auf uns zu ritten. Ich glaubte sogar, einige leere Sättel zu sehen, doch bevor ich mich dessen versichern konnte, zog eine schwarze Rauchwolke meine Aufmerksamkeit auf sich. Dichter Qualm stieg in der Nähe des Waldrandes in die Höhe und wurde schnell vom Wind weit über die Ebene verteilt. Ich kniff angestrengt die Augen zu, doch das große Feuer, welches am Rande des Fangornwaldes gebrannt hatte, war zu weit entfernt.

Ich schluckte einmal trocken. Es sah danach aus, als wäre uns jemand zuvorgekommen.

„Reiter!", rief Aragorn und sprang auf, „Viele Reiter auf schnellen Pferden kommen auf uns zu!"

Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt