In Sicherheit

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„Weiter können wir nicht gehen, zuviel ist heute geschehen."

Boromirs erschöpfte Stimme riss mich aus meinem traumartigen Zustand, in welchen ich verfallen war, als wir den goldenen Wald betreten hatten. Ich hob den Kopf und musterte meine Umgebung. Des fahle Sternenlicht liess die silbernen Baumstämmein einem trüben Grau erscheinen und lediglich eine schwache Andeutung von Gold war auf den Blättern zu sehen, die sich im Wind hin und her wiegten.

Es war nicht lange her, seit ich den Wald das letzte Mal betreten hatte, doch auch in diesen wenigen Monaten hatte er sich verändert. Die Traurigkeit schien sich auszubreiten wie eine Krankheit; nur langsam voran kriechend, doch unaufhaltsam. Wie aus weiter Ferne hörte ich die Worte, die Galadriel bei unserem letzten Abschied gesprochen hatte: „Die Welt verändert sich. Du weisst, ich spüre es stärker als du. Unsere Zeit ist vorbei. Die einzige Frage, die wir uns stellen müssen, ist, ob wir vor dem Ende noch eine Rolle spielen wollen in dieser Welt, die wir bald verlassen werden."

Meine Gedanken schweiften zu meinen silbernen Augen, die langsam aber sicher ihre mythische Farbe verloren. Seit Wochen hatte ich nicht mehr in einen Spiegel geschaut, doch was ich sähe, würde mich sehr wahrscheinlich in Panik versetzten: Der offensichtliche Beweis dafür, dass mir die Zeitausging...

„Dort vorne kann ich den Nimrodel plätschern hören. Lasst ihn uns noch überqueren, ich habe gehört, dass er nicht sehr tief ist."

Als Legolas den kleinen Fluss erwähnte, der an Loriens westlicher Grenze verlief, erwachte ich aus meinen tiefen Gedanke. Das leise Plätschern klang durch den Wald und zwischen den Baumstämmen hindurch konnte ich das Glitzern des fliessenden Wassers sehen.

Während die Hobbits unsicher Schritt für schritt den Fluss erkundeten, sank ich erschöpft auf die Knie und liess mir das kühle Wasser über die heisse Stirn laufen. Ich zwang mich, auch etwas davon zu trinken, doch nach einigen Schlucken schmerzte mein Hals so sehr, dass ich den Rest frustriert aus meinen Händen zurück in den Fluss platschen liess.

„Komm, wir müssen weiter."

Mühevoll half mir Aragorn auf. Die anderen hatten den Fluss bereits überquert und streiften nun zwischen den hohen Baumstämmen umher, auf der Suche nach einem geeigneten Lagerplatz.

„Soll ich dir über den Fluss helfen?", fragte der Waldläufer vorsichtig, da er um den Stolz der Elben wusste.

„Ja, bitte.", antwortete ich heiser.

Während wir langsam über die glitschigen Steine gingen, klammerte ich mich an Aragorns Arm fest, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich konnte nicht mehr sagen, ob das Wasser, das meinen Füsse umspülte, kalt oder warm war.

„Wir sind noch zu weit von Caras Galadhon entfernt, als dass wir hier schon auf Wachen treffen würden. Hältst du bis morgen durch?",  Aragorns Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, damit die anderen uns nicht hörten, doch ich konnte die Besorgnis daraus heraus hören.

„Muss ich ja.", antwortete ich mit zusammengebissenen Zähnen, als wir das Ufer erreichten.

Die Gefährten hatten inzwischen ein Nachtlager gefunden und liessen sich auf dem weichen, moosbewachsenen Boden nieder.

Schweigend liefen wir nebeneinander her, nur das leise Rascheln unserer Schritte begleitete uns. Die Anwesenheit des Waldläufern wurde mir auf einmal schrecklich klar bewusst.

„Du bist der erste Mensch seit mehr als dreitausend Jahren, mit dem ich über mehr spreche, als über die Grösse des nächsten Verteidigungswalls."

Überrascht blickte Aragorn zu mir. Ein undefinierbares Lächeln lag auf seinen Lippen.

„Und ich bin sehr glücklich darüber."

Die letzte ReiseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt