Every good thing has to start

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Ich leite meinen Blick über die kahlen, farblosen Mauern, die das hohe, altertümliche Haus umgeben.
Ohne erdenklichen Grund erinnert mich dieses Grundstück an einen Horrorfilm, indem ein psychisch kranker Typ wohnt und Leichen aufbewahrt. Bis auf das psychische ist dieser Gedanke jedoch völlig unbegründet, was von den großen, reichlich verschnörkelten Lettern über dem Eingang noch unterstrichen wird:

Mental Healing

Instinktiv vergrabe ich mich noch tiefer in meinem Hoodie als vorher.
Mein neuer Arbeitsplatz. Was waren noch gleich meine Beweggründe gewesen, ausgerechnet den Job hier in Fumeston anzunehmen?
Ach ja, weil es im gesamten Umkreis von Charlottestown keine freie Stelle für Therapeuten gibt.
Ich erreiche das Tor und ziehe es mit einer schwungvollen Bewegung auf.
Sofort schlägt mir dieser alte Duft entgegen.
Kalt und modrig, Kellerduft, wie ich es zu nennen pflege.

»Miss Porter? Sind Sie das?«
Die alte, rauchige Männerstimme bringt mich einen Moment lang aus dem Konzept.
Errötend merke ich, dass meine Tasche durch meinen Schreck ungewollten Kontakt zum Boden gefunden hat.

Ich hebe sie schnell auf und schultere sie erneut.
Dann suche ich die Herkunft der Stimme.

Und tatsächlich. An der gegenüberstehenden Wand lehnt ein Mann ,vielleicht um die 70, und sieht mich aus kleinen, dunklen Augen prüfend an. Ich räuspere mich, ein Tick von mir, das mache ich immer, wenn ich nervös bin.

»Ja, ich bin Venice Porter, guten Nachmittag.« Dee Mann verzieht keine Miene, die Stille ist drückend.

Dann erhebt er die Stimme erneut.

»Mein Name ist Timothy Chains.
Aber ich werde ihnen sicherlich nicht gestatten, mich Timothy zu nennen.
Für Sie bin ich Mr. Chains.«

Der Mann sieht mich weiterhin an, bis er das Zimmer verlässt.
Verwundert stehe ich da wie angewurzelt. Was war denn das für eine Begrüßung? Ich höre Schritte aus dem Zimmer, das Mr. Chains soeben betreten hat.
Keine Sekunde später steht dieser wieder im Raum und sieht mich einmal mehr ausdruckslos an.
»Na was ist? Wollen Sie mitkommen oder lieber den ganzen Tag dahinten herumstehen?«, schnauzt er mich unfreundlich an. Wortlos folge ich ihm.
Wir betreten den Raum, in den Mr. Chains verschwunden war.
Es ist ein riesiges Büro, zwei Massive Schreibtische stehen auf jeweils einer Seite des Zimmers. Von der Tür aus bis zum Ende des Zimmers reicht ein großes Regal, das randgefüllt ist mit Büchern , Akten, und Ordnern.
Von der Decke hängt ein großer Kronleuchter, der den Raum in ein goldenes Licht taucht und ihm somit eine entspannende Atmosphäre verleiht.
Am Schreibtisch im hinteren Bereich des Zimmers sitzt eine relativ junge Frau, sie konnte kaum älter als ich sein. Konzentriert tippt sie auf den Tasten herum. Mr. Chains wendet sein Wort an sie.

»Melissa, Ms. Porter ist eingetroffen. Geben sie ihr alle Informationen, die sie braucht, damit sie ab morgen in der Behandlung arbeiten kann.«

Die dunkelhaarige Frau hinter dem Tisch sieht uns an, Mr. Chains verschreckt, mich freundlich lächelnd.

»Ah, richtig, guten Tag Ms. Porter. Ich bin Melissa.« Sie reicht mir ihre zierliche Hand. Ich nehme sie.
»Guten Tag. Nennen Sie mich doch Venice.«
Sie lächelt mich immer noch an. »Venice... ungewöhnlicher Name . Aber echt schön.« Mr. Chains verlässt den Raum.

Melissa verdreht die Augen. Ihre Lippen bilden stumm das Wort "Idiot". Ich würde mich kaum anders fühlen, wenn ich Tag für Tag mit Mr. chains zusammen arbeiten müsste.
Wobei- das ist genau das, was ich von Heute an machen muss.
Ich unterdrücke ein Seufzen.
»Also gut , Venice. Hier hast du mal die Wichtigsten Unterlagen und Akten zu unseren Patienten.«
Sie reicht mir einen ganzen Stapel Unterlagen. »Dein Zimmer ist gleich über unserem Büro. Es wurde schon eingerichtet. Du bekommst drei Mahlzeiten am Tag, zwei davon warm.
Also mach was aus deinem Zimmer. Du wirst es jeden Tag sehen. Ja... und der Rest steht auf Seite 24.« Sie nickt in Richtung des Stapels auf meinem Arm. »Danke.« , hauche ich. Dann drehe ich mich zur Tür.
»Und, äh, übrigens...« Ich drehe mich kurz zu Melissa. Ein eigenartiger Ausdruck liegt auf ihrem Gesicht. Besorgnis, Zweifel. Angst.
»Passen Sie auf sich auf, Venice. Und nehmen Sie sich vor Robin Brooks in Acht.«
Sie gibt mir zu verstehen, dass ich das Zimmer verlassen darf. Mit gerunzelter Stirn mache ich mich auf in die große Eingangshalle. Die große Wendeltreppe ist mir vohin schon ins Auge gefallen. Diese künstlerische Perfektion.
Diese vollendete Perfektion.
Ich lasse, während ich die schwarzen Stufen in das höhere Stockwerk emporsteige, meine Hand über die vielen Schwingungen und Kurven des Geländers streichen.
Dieses Haus hat so etwas Magisches an sich. Diese Aufrichtige Perfektion auf so einem geheimnissvollen Niveau, dass es mir kaum möglich ist, zu beschreiben, was das mit mir anstellt.

Ich komme oben an und befinde mich in einem Korridor. Alle Türen sind symmetrisch angelegt und an ihnen befinden sich goldene Schilder, in die etwas eingraviert wurde. Namen.
Ich gehe den Korridor hinab, konzentriert und darauf bedacht, ja nichts herunter zu werfen und unnötigen Lärm zu machen. Die Anmutigkeit dieses altertümlichen Gebäudes steckt mich an.
Dann stehe ich vor meiner Tür.

Venice Elizabeth Porter

Ich öffne die Türe, die kurz knarrt. Dann stehe ich in meinem Zimmer.

So etwas schönes habe ich zuvor nur selten gesehen.
Das Zimmer ist genausogroß wie das Büro von Melissa und Mr. Chains. Ein majestätisches , zwei Meter breites Bett steht unter dem großen Fenster, relativ weit hinten im Zimmer.
Außerdem schmückt ein großer Kamin den Raum, was zu den winterlichen Temperaturen wohl nur von Vorteil sein wird. Direkt daneben befindet sich mein Schreibtisch, mit einem großartigen Blick aus dem Fenster. Die Landschaft, kahle schwarze Bäume, nur manchmal von ein paar dunklen Tannen unterbrochen. Ein schwarzer Teppich liegt genau in der Mitte meines Zimmers.

Ich schlüpfe schnell aus meinen Sneakers und bewege meine frierenden Zehen. Wie kann ich auch mitten im Dezember noch Sneaker tragen? Dann lege ich die vielen Unterlagen mitten auf den Schreibtisch. Meine Tasche schmeiße ich regelrecht in die Richtung der Kommode. Und dann- werfe ich mich auf das Bett. Die weiße Tagesdecke erkläre ich schon jetzt zu der weichsten Decke, die mir je untergekommen ist.
Zeitgleich spüre ich auf einmal die tiefe Müdigkeit, die in mir ruht. Ich bin schon den ganzen Tag auf den Beinen. Es könnte ja wohl kaum schaden, jetzt ein Bisschen die Augen zu schließen und zu schlafen...
Doch. Ich sollte jetzt nicht schlafen. Seufzend stehe ich auf, gehe zu meiner Tasche und hole eine Dose Red Bull heraus.

Das sollte die Müdigkeit zumindest für einige wenige Stunden lindern. Dann krame ich nach meinem Handy und lasse Musik laufen. Währenddessen beginne ich, alle Habseligkeiten aufzuräumen, Bücher in das Bereits gefüllte Bücherregal zu stellen, Bilder zu verteilen. Ganz zum Schluss ziehe ich Jerry aus der Tasche. Mein Teddybär. Ich besitze ihn schon, seit ich denken kann, und dementprechend sieht er auch aus.
Jerry erhält einen Sonderplatz auf meinem Bett.

Die Kälte im Zimmer ist furchtbar. Ich mache mich auf zum Kamin und lege ein paar Scheite Holz hinein. Dann zünde ich sie an.
Als ich mich vom Anblick des Warmen, orangefarbenen Feuers loslösen kann, begebe ich mich zu dem Stapel auf meinem Schreibtisch und beginne, mir ein Bild von meinen Zukünftigen Patienten zu machen.

-Jeremy Clark
*28.09.1974

-Rosaly Thore
*15.04.1999

-Courtney Ryans
*16.06.1967

-Timber Ashton
*24.12.2000

-Robin Brooks
*27.11.1990
!!!!!!!!!!!!!!!!!

Ich lasse meinem Blick auf der Akte von Mr. Brooks ruhen. Melissa hat gesagt, ich solle mich vor ihm in Acht nehmen. Langsam öffnete ich die Akte.

Als oberstes sah ich ein Bild von ihm. Er war groß gewachsen und ausgesprochen muskulös. Sein Haar war dunkelblond, beinahe braun. Sein Gesicht war markant, mit stark ausgeprägt Wangenknochen, Der Blick seiner Blauen Augen fesselnd.
Robin Brooks.

[...] Mr. Robin Brooks hat vielerlei Vorstrafen und ist bei der Polizei lediglich als Manipulator bekannt. Unsere Untersuchungen ergaben, dass Mr. Robin Brooks eine stark ausgeprägte Manipulationsfähigkeit hat, ebenso wie die Macht , Menschen zu beeinflussen, die bei ihm sehr auffällig ist.[...] Im Alter von 8 Jahren begann er schon, seine Mitmenschen allein durch Worte zu beeinflussen, seine überwiegenden Aggressionen brachten ihn zum Drogenkonsum.[...]

Robin Brooks. Ich verstehe nicht so Recht , warum er als Manipulator in der Anstalt gelandet ist.
Doch morgen werde ich es erfahren.

Ich durchforste noch viele andere Akten, und vergesse beinahe die Zeit. Bis es auf einmal an meiner Tür klopft.

Robin BrooksWo Geschichten leben. Entdecke jetzt