7- Die Hölle auf Erden

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Auf der Erde, irgendwo an der Küste Englands

Das laute Rauschen des Meeres und das Donnern, wenn es an die Steinwände traf, übertönte jegliche andere Geräusche. Am Horizont ging gerade die Sonne auf, was den Himmel in ein schönes Orange tauchte. Der Wind schlug mir ins Gesicht und blies mir ein paar meiner kurzen Haarsträhnen ins Gesicht. Es war noch ziemlich frisch, doch die Sonne begann bereits alles aufzuwärmen. Ich stand am Rand einer hohen Klippe, weit ab von der nächsten Stadt. Vor mir erstreckte sich nur ewiges Meer, hinter mir ein riesiger Wald. Lächelnd streckte ich meine Arme zur Seite aus und schloss die Augen, um die ersten Sonnenstrahlen zu genießen. Dann konzentrierte ich mich auf zwei bestimmte Punkte an meinem Rücken, die sofort zu kribbeln begannen. Kurz darauf hörte ich das wohlbekannte Rauschen und ein Glücksgefühl durchströmte mich. Ich sah nach hinten, um einen Blick auf meine reinweißen Schwingen zu werfen. Wie immer, wenn ich sie zum Vorschein brachte, fühlte es sich wie eine Befreiung an. Die Spitzen schliffen leicht auf dem Boden, sodass sie das seichte Gras berüherten. Ich öffnete meine Flügel und spreizte die Federn leicht ab, damit sie ebenfalls von der Sonne gewärmt werden konnten. Eine weitere Windböe brachte den salzigen Geruch des Meeres mit sich, den sich zufrieden einatmete.

Meine Brüder und ich waren vor einigen Monaten auf die Erde geschickt worden. Die Stadt in der Nähe war eine sehr religiöse. Alle Menschen waren getauft und besuchten regelmäßig die Kirche. Aus diesem Grund hielten sich hier vermehrt Engel auf, die die Menschen und die Stadt beschützten. Natürlich verdienten alle Menschen Schutz, aber diese Stadt galt als schönste und reinste der ganzen Welt, daher wurde sie besonders behandelt. Doch in letzter Zeit verschwanden immer mehr Engel von hier, deren Leichen kurze Zeit später gefunden wurden. Meistens waren jedoch nichtmal sterbliche Überreste übrig. Häufig wurde bloß ein Häufchen grauen Staub oder Asche gefunden, was auf den Tod eines Engels hinwies. Dieser Staub war das Resultat ganz bestimmter Waffen. Diese, egal ob Pfeil, Schwert oder etwas anderes, waren aus einem besonderen Material gefertigt, dass in der Lage war Engel entgültig zu töten. Bei den Engeln, bei denen der Körper erhalten geblieben war, hatten immer die Flügel gefehlt. Bevor sie starben wurden sie also noch gequält. Bei dem Gedanken daran meine Flügel zu verlieren schüttelte es mich gleich. Man ging davon aus, dass es sich bei dem Mörder um Dämonen handelte. Menschen wären zu so etwas nicht in der Lage, zumal sie gar nicht von unserer Existenz wussten. Doch kurz nachdem wir in die Stadt gekommen waren, um dem auf den Grund zu gehen, hatten die Morde aufgehört. Seit dem war nichts mehr passiert und es war nirgendwo die Präsens eines Dämons zu spüren gewesen. Daher durften wir heute Abend wieder zurück nach Hause gehen. Dennoch war allen Engeln gesagt worden, dass sie sich vorsichtig verhalten sollten. Wenn die Morde jedoch weiter gingen sollte ein Erzengel geschickt werden und den Mörder finden. Jedoch hoffte ich, dem wäre nicht so. Die Erzengel waren die stärksten Engel im Himmel. Einst hatte Luzifer, der Teufel, ebenfalls zu ihnen gehört, bevor der gefallen war. Die Menschen denken, dass alle Engel stets nett, gütig, warmherzig und zuvorkommend waren und Luzifer sich diesen Eigenschaften entzogen hatte. Doch dem war nicht ganz so, denn allzusehr unterschieden sich die Erzengel nicht von ihrem einstigen Bruder. Sie waren nicht nur unheimlich stark, sondern auch äußerst geschickt im Umgang mit Waffen. Außerdem konnten sie extrem blutrünstig sein und waren quasi unbesiegbar im Kampf. Ich schüttelte meinen Kopf und blickte wieder auf die schöne Landschaft vor mir, um mich zu beruhigen.

Ich glaubte nicht, dass der Mörder wiederkommen würde. Natürlich trauerte ich um meine Brüder und Schwestern, doch anscheinend war nun wieder alles beim Alten. Ich freute mich so sehr endlich wieder in den Himmel zu können. Dort könnte ich wieder immer meine Schwingen offen tragen und durch die Wolken laufen. Ich wäre stets von der himmlischen Präsenz umgeben und könnte mich endlich wieder sicher und geborgen fühlen. Es hatte mich erschrocken, was aus der Erde geworden war. Auf der einen Seite brachten Menschen sich zu tausenden Gegenseitig um, auf der Anderen lebten sie friedlich alle zusammen. Andere verhungerten wieder oder erfroren vor Kälte, während andere in ihren großen Häusern Essen in Massen genossen. Es war schrecklich an zu sehen, wie die Menschen sich selbst und ihren Planeten vernichteten. Dies alles war nur die Schuld der Dämonen, die den Menschen schlechte Gedanken einflößten und sie so zu Sünden verleiteten. Doch einfach so angreifen und töten durften wir sie dennoch nicht. Zum Einen, weil wir ja nicht einfach zwischen allen Menschen unsere Waffen ziehen und einen offenen Kampf austragen konnten. Zum Anderen, weil gerade Frieden zwischen Himmel und Hölle herrschte und zwar schon seit 300 Jahren. Damals hatte ein riesiger Krieg große Teile der Hölle zerstört, dafür waren jedoch mehr Engel als Dämonen ums Leben gekommen. Danach war ein Friedensvertrag ausgehandelt worden, damit sich beide Seiten erhohlen konnten. Wenn jedoch weiterhin so viele Engel starben, würde der Vertrag bald seine Wertigkeit verlieren. Doch obwohl die Erzengel bereits ungeduldig ihre Waffen schärften, hofften alle anderen, dass der Frieden blieb. Ich ging nicht davon aus das Luzifer einen erneuten Krieg provozieren würde, aber man konnte nie wissen.

Mein Name ist MorgensternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt