2. Gegen den Wind beweist sich die Freundschaft

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Sie musste sich halten, um nicht auf der Stelle wieder hinauszuspringen. Aber oben hatte sich eine rote Feuerschicht gebildet. Und sie wollte um keinen Preis wieder nackt durch die Gegend laufen. Das letzte Mal, als sie sich vor dem Dorfeingang hingekauert hatte, war sie von Simôn entdeckt worden. Simôn, den sie seit ihrer Kindheit wie einen Helden verehrte, der sie immer beschützte und ihr zur Seite stand wie kein anderer, hatte sie so aufgefunden. Er hatte sofort seine Kleider ausgezogen und sie ihr gegeben. So hatte Nuvay das sichere Dorf betreten. Er war ihr mit großem Abstand in seiner Unterwäsche gefolgt. Eine Woche lang hatten sie einander nicht in die Augen sehen können. Es war furchtbar peinlich gewesen. Hinzu kam, dass man ihr im Dorf nicht geglaubt hatte. Die Menschen hatten gedacht, dass Nuvay bloß wieder irgendeinen Unfug da draußen getrieben hatte, und von ihrer neu entdeckten Eigenschaft wollte niemand etwas wissen. Es war frustrierend und beschämend zugleich gewesen. Da hatte man so eine weltverändernde Entdeckung gemacht und war mit dem Leben davon gekommen und keiner hatte etwas davon wissen wollen. Eine traurige Wärme, die einzige Wärme, die sie gerade empfand, legte sich um ihre eisige Brust.

Der Feuerstrahl des violetten Drachen hielt nicht lange an. Als er erlosch, peitschte Nuvay sofort mit ihrem Kopf aus dem eisigen Wasser heraus und schnappte tief nach Luft. Zuerst konnte sie nichts erkennen, da überall das Wasser dampfte. Sie wartete gespannt darauf, dass ihre Sicht klarer wurde, und erkannte dann, wie der weiße Drache dem violetten Drachen gerade den Kopf wegdrückte. Sie traute sich nicht aus dem Wasser, obwohl sie zitterte. Die Kälte kroch ihr bis tief in ihre Knochen. Dann biss der weiße Drache dem Drachenweibchen in den Hals und ein weiterer Schrei hallte von den Höhlenwänden. Nuvay musste sich wieder die Ohren zuhalten und schloss dabei auch die Augen. Warum waren diese Drachen so laut?

Wie es passiert war, wusste sie nicht, doch als sie wieder aufblickte, stand der weiße zwischen ihr und dem violetten und bäumte sich gefährlich auf. Er gab seltsame Grunzlaute von sich. Dann, als das Drachenweibchen wieder angreifen wollte, brüllte er so laut und so ohrenbetäubend, dass Nuvay ebenfalls aufschrie. Die Kälte wich für einige Momente aus ihrem Körper. Angst und Verzweiflung machten sich in ihr breit. Die Haare auf ihrem gesamten Körper stellten sich auf. Das Brüllen des weißen Drachen ging ihr durch Mark und Bein. Mit was hatte sie sich da angelegt? Aber auch das Weibchen schien eingeschüchtert, denn es wich langsam zurück. Ein weiteres drohendes Grunzen, und die Violette drehte sich um und brach frustriert und wutentbrannt mit dem Kopf voran durch den eingestürzten Eingang aus der Höhle hinaus in den Nachthimmel. Der Eingang war wieder frei. In der Höhle wurde es still. Nur das Klappern von Nuvays Zähnen war zu hören. 

Der silberweiße Drache drehte sich langsam zu ihr um. Seine Schuppen klirrten sanft auf dem Boden. Ihr sanftes Silberweiß strahlte im hellblauen Licht der Höhle auf. Wieder sah er aus wie ein Stern am Nachthimmel. Seine blauen Augen, immer noch flammend vom Kampf, richteten sich auf Nuvay. Sie zitterte am ganzen Körper. Sein Maul öffnete sich ein wenig.

»Jetzt komm schon da raus!«, drang eine raue und kränkliche Stimme durch die Höhle. Nuvay erstarrte. Fing sie vor Kälte an zu halluzinieren? Der Mund des Drachen hatte sich zwar bewegt, doch schien es ihr, als ob nicht er es war, der gesprochen hatte. Irritiert ließ sie ihre schon leicht blauen Hände sinken und erwiderte: »Wie?«

»Deine Lippen sind schon ganz blau. Komm endlich aus dem Wasser!« Ein starker Schauer fuhr ihr mit jedem einzelnen seiner Wörter über den ganzen Körper. Sie spürte die Kälte schon gar nicht mehr und sah den weißen Drachen perplex an . Er leuchtete wie ein wirklicher Drache und hatte tatsächlich gesprochen. Der Drache hatte soeben mit ihr gesprochen! Sie wusste nicht, wie viele schreckliche Ereignisse ein Herz an einem Tag ertragen konnte, aber jetzt gerade zitterte es abermals auf und wusste nicht, ob es zu schlagen aufhören oder wieder beschleunigen sollte. Es entschied sich schließlich dafür, wie ein Presshammer weiterzuschlagen.

Nuvayla - Dorf im Land der Drachen [Leseprobe]Where stories live. Discover now