Prologue

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  - 17. April 1687 - 

Es war dunkel, die Stadt war wie leergefegt. Fast niemand befand sich zu dieser Stunde noch draußen. Fast niemand. Für das menschliche Auge kaum sichtbar, so schnell bewegte sich die Gestalt über die Dächer Londons. Der Mond schien ihr ins Gesicht und ließ die fast weiße Haut leuchten.  
Sie wurde langsamer, sie war erschöpft, aber das Verlangen nach einer menschlichen Seele, das Verlangen den unerträglichen Hunger zu stillen, trieb sie vorwärts. Sie durfte jetzt nicht aufgeben. 

Ein plötzlicher Windstoß, der ihre langen schwarzen Haare durcheinander brachte, ließ sie stocken. Der Wind trug nicht nur den metallischen Geruch von Blut mit sich, nein, auch den Geruch der von ihr so lang ersehnten Seele. Einer reinen und köstlichen Seele. Darauf hatte sie gewartet. Ein kleines, dämonisches Lächeln zierte ihre Lippen.
Sie drehte sich auf dem Absatz um und lief in die Richtung, aus der Wind kam.  
Der Geruch wurde immer stärker. Sie legte einen Zahn zu. Sie war nur noch wenige hundert Meter von ihrem Opfer entfernt. Binnen weniger Sekunden, hatte sie auch diesen letzten Abstand überwunden. Als sie jedoch sah, wer ihr Opfer sein sollte, überkam sie ein schlechtes Gewissen.   

Dort in der kleinen, verdreckten Seitengasse saß ein kleines Mädchen, von maximal sechs oder sieben Jahren zusammengekauert an die Wand gelehnt. Die glatten, blonden Haare fielen ihr strähnig ins Gesicht. Sie hatte die Augen zusammengekniffen und Schweißperlen sammelten sich auf ihrer Stirn.
Als die junge Dämonin sah, dass sie hustete und dabei einen Schwall Blut ausspuckte, wusste sie unter anderem, wo der Blutgeruch von vorhin herkam. Aber ihr wurde auch bewusst, dass es für das kleine Mädchen keine Hoffnung mehr gab.
In spätestens drei Tagen würde sie tot sein, ob mit oder ohne ärztliche Hilfe. Es wäre für die Kleine quasi eine Erlösung, wenn die Dämonin sie hier und jetzt töten würde. Sie müsste nicht leiden.  
Dennoch scheute sie sich, dieses unschuldige, junge Leben auszulöschen. Sie tötete nicht gerne, was für eine Dämonin recht unüblich war. Allerdings brauchte sie diese Seele. Würde sie sie jetzt nicht bekommen, würde sie die Kontrolle über sich verlieren und sie wollte sich nicht ausmalen, was dann passieren würde. 

Sie hatte also keine andere Wahl. 

Die Dämonin wechselte in ihre menschliche Gestalt und ging langsamen Schrittes auf das Mädchen zu. Als sie nur noch knapp einen Fuß von der Kleinen entfernt war, schreckte diese hoch und sah die Frau vor ihr ängstlich und erschrocken an.
„Shhh, es ist alles gut, du brauchst keine Angst zu haben". Mit diesen Worten und einem sanften, aber aufgesetzten Lächeln, beugte sich die Schwarzhaarige zu dem Mädchen hinunter und legte ihr eine Hand auf den Kopf.
„Halt still und schließ' die Augen. Gleich ist es vorbei...". Die Kleine tat wie ihr geheißen. Voller Vorfreude leckte sich die Dämonin über die Lippen. Gleich würde sie endlich ihre Seele bekommen.  

Doch plötzlich nahm sie eine mächtige Aura wahr. Erschrocken wich sie etwas von dem Mädchen zurück und sah sich um. Woher kam nur diese Aura? Auf einmal legte sich von hinten eine Hand um ihren Hals.
„Die Kleine gehört mir. Du solltest jetzt ganz schnell gehen, wenn du nicht möchtest, dass ich dich nach ihr umbringe", flüsterte ihr eine tiefe Stimme ins Ohr. Ihre Augen weiteten sich. Sie hatte immer gedacht, sie wäre der einzige Dämon in London. Doch sie hatte sich getäuscht.
Zudem war dieser Dämon um einiges stärker als sie, seiner Aura nach zu urteilen. Sie biss die Zähne zusammen. Sie hat diese Seele so lange gesucht, sie durfte sie jetzt nicht einfach so hergeben. Vielleicht hatte sie ja doch eine Chance gegen ihn.
„Denkst du ernsthaft, ich würde dir ohne zu kämpfen diese Seele überlassen?", fragte sie leise, den Blick starr noch vorne auf das Mädchen gerichtet, das die Augen wieder geöffnet hatte und die beiden verwirrt anstarrte.   
„Ich hatte mir schon gedacht, dass das nicht einfach werden würde...". Heftig wurde die Dämonin gegen die Wand gedrückt. Nun sah sie auch das Gesicht der Person, die sie unterbrochen hatte. Ihre azurblauen Augen trafen auf seine rotbraunen. Er hatte schwarze, etwa kinnlange Haare. Sein Gesicht war wohl geformt. Ein ziemlich hübscher Dämon. 

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