Little Sherlock, huh?

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- 1887 -

Lilly blickte nach oben in den Himmel.
Es war eine fast sternenklare Nacht, kaum eine Wolke hinderte den Mond daran, die leeren Straßen Londons auf natürliche Weise zu erleuchten. Seufzend ließ sie sich nach hinten fallen, lag nun rücklings auf dem Dach eines alten, niedlichen Hotels und dachte nach. Wie es in letzter Zeit sehr oft tat.
Sie dachte an ihre Freunde in ihrer eigenen Welt. Sie sollte bald dorthin zurückkehren, wenigstens für ein paar Tage. Wobei man sie wahrscheinlich eh nicht vermisste. Das Wort "Freunde" ist in der Welt der Dämonen wohl etwas übertrieben. Wirklich mögen tat man sich dort nur selten. Man gab sich lediglich zwangsweise miteinander ab, um nicht komplett einsam zu sein. Als Mittel gegen Einsamkeit könnte Lilly sich natürlich auch ein "Haustier" anschaffen.
Oh nein, das käme nicht in Frage! Dieses Haustiere konnte man unmöglich als Haustiere bezeichnen. Haustiere sollten...flauschig und niedlich sein. Man sollte mit ihnen kuscheln können. Aber diese Viecher in ihrer Welt...würde sie nicht einmal freiwillig ansehen.

Aber sie dachte auch oft an IHN.
An den geheimnisvollen Dämon, dem sie vor vielen Jahren begegnete. Ihr erstes Treffen war nun genau 200 Jahre her, genauso wie ihr letztes. Er hatte sich seitdem kein einziges Mal blicken lassen und das machte sie ziemlich wütend.
Erst erklärte er sie zu seiner Rivalin und dann verschwindet er für eine halbe Ewigkeit. Warum war er nur verschwunden, einfach so? Vielleicht war er tot. Nein, dafür war er zu mächtig, zu stark. Hatte er es sich anders überlegt? Schon wahrscheinlicher. Vielleicht...ja, mehr fiel ihr nicht ein.
Mit einem erneuten Seufzer erhob sich Lilly von den Dachziegeln und entschied sich dafür, diese Angelegenheit fürs erste zu vergessen und sich auf Nahrungssuche zu begeben. Es war schon so lange her, dass sie eine ordentliche Seele verspeisen konnte.
Sie strich sich eine Falte aus der hautengen, schwarzen Hose und setzte die Kapuze ihres Mantels auf, zog sie sich tief ins Gesicht. Sie ging durch die Straßen, stolperte hin und wieder über einen Obdachlosen oder ein paar Leichen. Im Winter waren die Straßen voll davon. Anfangs empfand sie noch ein wenig Mitleid, aber mittlerweile hatte sie sich im Grunde daran gewöhnt. Solche Dinge passierten nunmal.
Sie konzentrierte sich auf die Gerüche und fand glücklicherweise schnell ein passables Mahl zwischen den halbtoten Schnapsleichen. Es zog sie durch einige dunkle, enge Gassen. Doch dann, war der Geruch weg. Das war nicht das erste Mal, dass so etwas passierte. Sie war schließlich schon lange nicht mehr die einzige ihrer Art in dieser Stadt, da schnappte man ihr halt ab und an eine Seele weg. Außer Lilly waren hier nun vier weitere Dämonen ansässig. Einen kannte sie, er hieß Andrew. Sie verstanden sich gut, jagten von Zeit zu Zeit zusammen, sahen sich aber nur selten. Mit seinen schwarzen, zerzausten Haaren sah er immer ziemlich verpeilt aus, war aber ein sehr netter Kerl. Netter als viele andere Dämonen, die sie kannte. Und der einzige, den sie einen wirklichen Freund nennen konnte. Von den anderen dreien wusste sie nichts, kannte sie nur vom Sehen.

Entnervt drehte sie sich um, wollte den Weg, den sie gekommen war, zurückgehen. Irgendwie würde sie schon aus dem Labyrinth aus Gassen entkommen, aber dummerweise gingen von dem Platz, an dem sie stand, drei Wege ab. Fantastisch. Ihr Orientierungssinn war wirklich nicht der beste. Aber hey, sie war eine Dämonin! Also nahm sie etwas Kraft zusammen und sprang einfach auf ein Dach. Tolle Aussicht, schöner Blick auf den Big Ben bei Nacht. Ihre Gedanken drifteten ein wenig ab, wieder zurück zu dieser verhängnisvollen Nacht. Bis sie ein lautes Grollen ihres Magens in die Realität holte. Peinlich berührt blickte sie sich um, in der Hoffnung dass niemand dieses Geräusch vernommen hat, was jedoch um diese Uhrzeit ziemlich unwahrscheinlich war. Und den Besoffenen wäre das eh ziemlich egal. Sie sollte lernen, ihren Hunger besser zu unterdrücken. Der Hunger raubte Lilly viel Kraft, aber man durfte keine Schwäche zeigen.
Sie wollte sich gerade auf die Suche nach möglichen Opfern für ihre Nahrung suchen, doch sie stockte. Ein merkwürdig lautes Surren zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Wie eine...Kettensäge? Wer versuchte denn bitte um diese Uhrzeit einen Baum zu zerlegen? Ihre Neugierde geweckt, folgte Lilly dem Geräusch. Sie sprang über ein paar Dächer, musste sich aber nach einiger Zeit auf den Boden begeben, da ihre Kraft nicht mehr ausreichte. Langsam ging sie weiter, machte keinen Mucks. Sie bog um eine Ecke, ging aber sofort hinter ein paar Kisten in die Hocke.

Rivals for Life - Rivals for EternityWo Geschichten leben. Entdecke jetzt