Prolog

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Viele Menschen waren um sie herum. Sie drängelten und schubsten. Alle wollten das große Spektakel sehen, die gerechte Strafe die ihm zukam. Leah stand wie ein Stein mitten in der Menge und konnte sich nicht rühren. Dann fuhr es wie ein Blitz durch sie.

Sie musste ihm helfen, es war sowieso alles egal; zu viel war schon passiert. Ihr Bruder war gestorben, weil er helfen wollte, doch sie würde ihn retten. Sie durfte ihn jetzt nicht im Stich lassen...

Leute rempelten sie an und fluchten danach. Einige bekreuzigten sich sogar gegen sie. Doch Leah ignorierte die Feindseligkeit und schlängelte sich nun flink durch die Menge. Es waren viele gekommen, der ganze Marktplatz war voller Menschen. Doch in der Mitte hatten die Leute einen Kreis mit sechs Metern Durchmesser freigelassen. Dort oben saß er. Auf einem Holzplateau direkt in der Mitte. Um ihn herum standen fünf Männer, allesamt in schwarz gekleidet und mit einer Henkersmaske im Gesicht. Dann wurde es plötzlich ruhig. Die ganzen aufgeregten Gespräche, Vermutungen und Wetten wurden eingestellt und alle schauten nach links.
Dort war das Rathaus und aus dem kam gerade ein beleibter kleiner Mann. Vollkommen in Seide gekleidet, mit dicken Goldringen an den Wurstfingern und einem Bürgermeistermedallion um den kurzen fetten Hals. Speichel troff ihm aus dem Mund und in seinen kleinen Hundeäuglein glitzerte der Wahnsinn.

Eine rote kalte Wut kochte in Leah hoch und sie spuckte angewidert auf den Boden. Dafür bekam sie postwendend mehrere Ellenbögen in die Rippen gestoßen und leise Beschimpfungen wurden gezischt. Sie schüttelte nur den Kopf und betrachtete die Szene angeekelt. Der Bürgermeister bahnte sich einen Weg durch sein jubelndes Volk, kaum zwei Schritte hinter ihm seine beiden Leibwächter. Leah wagte es kaum zu atmen als das Trio an ihr vorbei aufs Podest zuschritt. Doch als der Bürgermeister auf seiner Tribüne Platz nahm und die fünf schwarzen Männer einen immer enger werdenen Kreis um ihn zogen, bekam sie erst recht keine Luft mehr.
Dann packten sie zwei starke Hände von hinten und hielten sie brutal fest. Sie konnte sich nicht wehren und ließ es über sich ergehen. Ein weiterer schwarzer Mann kam und fesselte sie mithilfe seines Kumpanen an eine Art Materpfahl.

Warum war sie gekommen? Warum hatte sie sich nicht einfach versteckt?

Tränen traten ihr in die Augen. Sie wollte schreien. Alle Menschen die nichts unternahmen umbringen, um sich schlagen, treten, boxen, alles, nur nicht nocheinmal zusehen, wie ein weiteres Familienmitglied von ihr qualvoll starb.

Mit Tränen verschleierten Augen suchte sie den Blick ihres Vaters zwischen all den schwarzen Männern. Und sie fand ihn. Die fünf Männer hielten ihn immernoch in ihrer Mitte gefangen, sodass er auch ja nicht entkommen konnte.

Verzweiflung lag in seinem Blick, und sie erwiderte ihn mit Hoffnungslosigkeit.

Der Segen der ZeitWhere stories live. Discover now