2. Träumen

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Es dauerte, bis sich Alea immerhin ein wenig beruhigt hatte. Irgendwann lag er nur noch still und kraftlos da. Seine Gedanken wirbelten umher, ließen ihm keine Ruhe. „Lasterbalk?", fragte er dann leise. „Hmm?", gab dieser von sich. „Ich will nicht mehr", murmelte der an Liebeskummer leidende Mann erschöpft. „Was willst du nicht mehr?", wollte der Lange es genauer wissen. „So viele Wünsche haben, so viel Anspruch zu haben... Warum kann ich nicht einfach normal sein?" Sein Zuhörer strich ihm sanft den roten Pony aus dem Gesicht. „Du bist normal. Und es ist auch normal, dass du jetzt so niedergeschlagen bist. Ich meine, ihr habt jetzt eine ganze Weile euer Leben miteinander geteilt." Er machte eine kleine Pause und atmete tief ein. „Aber sag mir, was war der Auslöser? Deine selbstzerstörerische Gedanken?", versuchte er weiter seinen traurigen Kumpel zu beruhigen. „Ich habe einen Fehler gemacht", wich dieser erneut aus. „Jetzt stell dich dem und sprich es aus", meinte Lasterbalk nachdrücklich und der Andere seufzte. „Ich habe eine Frau geküsst und Luzi hat es gesehen", nuschelte er. „Achso. Das erklärt einiges". Der Große begann nachzudenken und wurde deshalb still. Alea fragte sich derweil, wann dieser Albtraum endlich ein Ende hatte. Ob es einfach sein Schicksal war, dass er so geboren worden war? Mit diesem Biest in sich drin, gegen das er schon einmal hatte kämpfen müssen? Damals hatte er eine lange und heftige Depression gehabt und sie nur durch die Hilfe der Band, der Freude an der Musik und seinem Sport überwinden können. Er hatte sich mit allen Mitteln und aller Selbstkontrolle in die Arbeit und seine Hobbies gestürzt. Auch heute hatte er noch die krampfhafte Angst vor Langweile, da er befürchtete, wieder in seine eigene Dunkelheit zurück zu müssen, wenn er sich zu viele Gedanken machte. Er verbreitete fast verzweifelt hartnäckig gute Laune, um sich selbst durch diese aufgesetzte Fröhlichkeit anstecken zu lassen. Er hielt sich bewusst naiv und gutgläubig, um nicht zu viel zu überlegen. Um dann auf dieser Welle der Glückseligkeit, die er sich ausgedacht hatte, zu leben.

Niemand hatte damals davon gewusst, als es ihm so schlecht ging. Wie denn auch, wenn er sich selbst dazu gezwungen hatte fröhlich zu sein? Zumindest, wenn er nicht alleine war. Nur Abends, wenn er alleine in seinem Bett lag, hatte es ihn überfallen. Er wollte sich selbst aufgeben und hatte es doch nie getan. Als er sich irgendwann sicher war, keinen Rückfall mehr zu erleiden und das Schlimmste hinter sich zu haben, hatte er ein paar seiner Freunde ins Vertrauen gezogen. Luzi hatte er es ebenfalls erzählt, in einer ihrer vielen Stunden, in denen sie aneinander gekuschelt dalagen und sich über Gott und die Welt, aber auch über sich selbst, unterhalten hatten. Er musste ihm damals bestimmt eine halbe Stunde lang versichern, dass er dieser Lebensabschnitt der Vergangenheit angehörte, damit sich sein Freund keine Sorgen mehr machte. Mit diesem war sowieso alles gut gewesen. Bei Luzi hatte er kein einziges Mal an die dunkle Vergangenheit denken müssen. Er hatte immer gewusst, was Alea gebraucht hatte, um ihn glücklich zu machen. Aber war es umgekehrt genauso gewesen?

Beide wurden aus ihren Gedanken gerissen, als es an der Tür klopfte. „Ja?", übernahm Lasterbalk das Sprechen für den Sänger, der zu erschöpft war, um die Stimme zu erheben. Seine Stimmbänder waren durch den Kummer jetzt etwas angeschlagen. Jean trat ein. „Ich habe Luzi jetzt nach Hause gebracht, der Arme ist vollkommen fertig", erklärte er sofort seine Anwesenheit. „Aber du anscheinend auch", fügte er dann an Alea gewandt hinzu und kam in seine Richtung gelaufen. Fast ruckartig setzte sich dieser auf, um etwas Würde zu behalten. Er zog die Knie an und umarmte sich selbst. „Hat er was gesagt?", wollte er dann von Jean wissen, nachdem er sich kurz geräuspert hatte. „Nein. Gar nichts. Er wollte von mir auch nichts wissen". Der Schlagzeuger der Band zuckte ratlos mit den Schultern. „Soll ich dich auch heimfahren?", bot er dann an, doch der Angesprochene schüttelte den Kopf. „Ich komme schon selber heim, danke", murmelte er leise und stand schwankend auf, um diese Aussage direkt in die Tat umzusetzen. „Sicher?", erkundigte sich nun Lasterbalk, „Ich meine, ihr wohnt doch inzwischen zusammen, oder?" Schlagartig blieb der eben Aufgestandene stehen, drehte sich dann manisch wieder um und lief zum Sofa zurück. Der Lästerliche nickte Jean zu. „Danke. Ich sorge dafür, dass er nachher noch eine Bleibe findet. Wenn du heim willst, kannst du gerne gehen", schmiss er ihn freundlich aus dem Proberaum. Dieser verstand den Wink mit dem Zaunpfahl und grinste. „Ich gehe ja schon, nur keine Sorge. Dann lasse ich euch also wieder alleine. Gute Besserung, Alea. Das schaffst du schon. Bis demnächst", verabschiedete er sich und verließ den Raum.

"Vergib mir"Donde viven las historias. Descúbrelo ahora