Kapitel 2

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In Oslo ist es kalt. Sehr kalt sogar. Ich wickle mir meinen Schal um und stapfe von meinem Flugzeug aus direkt zu den Bussen, die einen näher zum Flughafen selbst bringen sollen. Ich bin keine drei Schritte weit gekommen, als ich auch schon meine Kamera aus der Tasche nehme und ein paar Fotos schieße. Das Licht, der Schnee und auch die Menschen werden Teil meiner Aufnahmen. Ich kann kaum aufhören den Auslöser zu betätigen. Erst die Stimme des Busfahrers bringt mich zurück in die Realität.

"Würden Sie bitte einsteigen? Ich habe nicht ewig Zeit." Sein Akzent ist anstrengend und so eile ich mit einem knappen Nicken an ihm vorbei in den Bus. Dieser ist anscheinend viel zu voll. Alle Sitze sind belegt und zum Stehen bleibt einem auch kaum Platz. Yay! Ich lege meine Kamera vorsichtig zurück in meine Tasche und suche nach einer winzigen Fläche für mich. Letzten Endes muss ich mich zwischen ein Liebespaar quetschen. Sie stöhnen genervt auf und werfen mir Killerblicke zu.

"Oh Entschuldigung, dass ihr euch nicht weiter abschlecken könnt", sage ich genervt und starre aus dem Fenster. Der Kerl fängt an zu feixen und das Mädchen wird rot                                              Der Bus setzt sich endlich in Bewegung und ich muss mich auf die Zehenspitzen stellen, um an die Griffe zum Festhalten zu kommen.  Die Luft steht und ich atme möglichst flach, um nicht an den Ausdünstungen der anderen Leute zu krepieren. Ich hasse Menschenansammlungen.

Der Bus ruckelt über die Straße und fährt schwungvoll durch ein verflixtes Loch. Ich verliere das Gleichgewicht und lande unglücklicherweise auf dem Schoß eines älteren Mannes, der mich anzüglich anlächelt. Sofort und wie vom Blitz getroffen, springe ich auf und rücke so weit wie möglich von ihm ab. Gruselige Kerle haben mir gerade noch gefehlt.

"Wir haben in Kürze unser Ziel erreicht. Halten Sie sich bitte bereit", dröhnt es aus den Lautsprechern. Und wie ich mich bereit halte. Ich zwänge mich durch die Menge und stelle mich direkt vor den Ausgang. Als der Bus hält, bin ich die erste, die hinaus strömt. Ich umklammere mein Zeug und laufe schnellen Schrittes in das Gebäude und weiter zur Gepäckausgabe.  Dort warte ich eine halbe Ewigkeit auf mein Zeug. Als ich es erblicken kann, versuche ich es zu greifen, doch eine hochgewachsene Frau stellt sich mir in den Weg. Ich sehe wie mein Koffer an mir vorbei rollt und bekomme den Anflug einer Panik. Schnell laufe ich parallel zu dem Fließband und kurz bevor mein Gepäck weg ist, kann ich es schnappen. Erleichtert hebe ich es herunter und rolle im Anschluss aus der Halle in das Zentrum des Flughafens.

Ich sehe die ungewöhnlichsten Menschen, was ich an sich schon aus meiner Heimat kenne. Hier sind viele Geschäftsleute und Normalos unterwegs. Aber ebenso viele Hippies, Künstler und freie Geister sind zu identifizieren. Eine kleine Musikgruppe steht an einem Rand und spielt mir unbekannte Lieder. Ich fische ein paar Geldmünzen aus meiner Börse und lasse sie in den Gitarrenkoffer fallen. Der Leadsänger sagt etwas, vermutlich auf Norwegisch, und lächelt breit. Ich lächle auch, auch wenn ich nicht den leisesten Schimmer habe, was er da gesagt haben könnte. In meiner Muttersprache frage ich, ob ich Fotos von ihnen machen darf. Und ich darf.

So gehen weitere zehn Minuten verloren, in denen ich mich in meiner Lieblingsbeschäftigung verliere. Und die Fotos sehen auch großartig aus. Ein Hoch auf meine Begabung.                       Jetzt etwas fröhlicher, gehe ich zu einem Wartebereich und setze mich auf einen Metallstuhl, um auf meinen Abholdienst zu warten. Ich stecke mir meine Kopfhörer in die Ohren und lausche der Musik meiner Lieblingsband Kaleo. Dabei öffne ich mein Buch, stecke mir das Lesezeichen hinter das Ohr und lese mir die Gedichte durch.

                                                "Eines Tages                                                    

  Flügel erfinden

  Wegfliegen

       Morgens enteilen

Oder einfach

  An Flügellose

Je

   Eine Feder

    Verteilen."

Das Gedicht "Die Gabe" hat schon immer zu meinen Liebsten gehört. Wjatscheslaw Kuprijanow drückt darin einfach so viel aus. Lächelnd platziere ich mein Lesezeichen wieder in dem Gedichtband und schließe es. Ein Blick auf meine Armbanduhr sagt mir, dass sie schon irgendwo hier sein müssten. Ich greife mir mein Zeug und laufe ein wenig umher. Hin und wieder mache ich den ein oder anderen Schnappschuss mit der Kamera und als ich immer noch keine Ahnung habe wo sie bleiben, verweile ich einfach an der Info und begutachte fachmännisch meine Bilder. Jess würde definitiv mit mir zufrieden sein.                                                Aufgeregte Stimmen wecken mein Interesse. Eine Menschentraube hat sich um eine Gruppe von jungen Männern gebildet. Es werden aufgeregt Selfies gemacht und ein paar Mädchen kreischen. Ich hebe auch meinen Apparat, um den Moment festzuhalten.

Klick. Autogramme werden verteilt, noch mehr Bilder gemacht und natürlich noch mehr gekreischt. Ich verdrehe die Augen und stelle die Musik an meinem Handy einfach noch lauter. Ich bin auch nicht wirklich neugierig, wer so berühmt ist, dass die Mädchen wie ein paar Hühner gackern.

"Achtung", sagt einer der Kerle ehe er aus der Traube tritt. In seiner Hand hält er ein Pappschild.

Und darauf steht mein Name.

LETTER BLINDNESS // Daniel André Tande FanfictionWo Geschichten leben. Entdecke jetzt