Kapitel 14 - Schwarze Schatten auf Blut

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Der Blick von Alex spricht Bände. Seine Enttäuschung steht ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. Anscheinend is es nicht das erste Mal, dass Adam ihm vorgezogen wird.

"Du solltest dich von meinem Bruder fernhalten, Grace. Er ist der böse von uns beiden und er wird auch niemals Gefühle für dich entwickeln", murmelt Alex mit bebender Stimme. Er sieht mich nicht an, sondern widmet seine Aufmerksamkeit dem Fenster. Ich nehme mir meinen Becher vom Billiardtisch.

"Und du bist der Gute von euch beiden?", frage ich sarkastisch. Im nächsten Moment bereue ich meine Frage sofort wieder und starre auf den Fußboden. Eigentlich wollte ich es witzig klingen lassen, aber das klang eher wie eine Anschuldigung.

"Es tut mir leid." Ich sehe Alex an, versuche seinen Blick zu finden, doch er schaut mich nicht an. Wahrscheinlich habe ich gerade in einer offenen Wunder herum gestochen.

"Komm", sagt er mit zusammen gepressten Lippen und hält mir symbolisch die Tür auf. Anscheinend ist es ihm unbehaglich alleine mit mir in einem Raum zu sein. Wir gehen gemeinsam ohne ein Wort miteinander zu sprechen nach unten.

Unten angekommen lasse ich den Blick durch die Menge gleiten. Von Adam und seinen Jungs fehlt jede Spur, er ist weg. Weit weg von mir. Ich atme erleichtert auf und werfe Alex ein entschuldigendes Lächeln zu. Er zuckt mit den Schultern und deutet mit dem Kopfnicken ins Wohnzimmer.

Dort wartet Scott bereits mit verschränkten Armen. Als er mich sieht, tippt er mit einem Finger auf seine Armbanduhr und macht eine Kopfbewegung zum Fenster. Annabelle steht vor einem der Fenster und blickt nach Draußen. Das Mondlicht erhellt ihr kalkweißes Gesicht. Und nun sieht sie wirklich aus wie eine Hexe mit ihren tiefroten Haaren und dem schwarzen Kleid.

"Ich glaube, wir sollten gehen", sage ich mit lauter Stimme zu Alex und fasse ihn am Arm. Sein Blick findet meinen und in seinen Augen spiegelt sich diese tiefe Zuneigung wieder, die ich ihm auch gerne zeigen würde. "Es tut mir leid", forme ich mit meinen Lippen.

Alex nickt und legt seine Hand auf meine Wange. Mit dem Daumen streicht er mir eine Strähne aus dem Gesicht. "Geh schon, Gracy", murmelt der verliebte Kerl und lässt seine Hand sinken.

Ich winke meinen Freunden zu und sie drängeln sich zu uns durch. "Lass uns gehen!", rufe ich Scott zu und lächle milde, als Antwort auf seinen besorgten Gesichtsausdruck.

Eine Umarmung als Verabschiedung für Alex und wir stehen draußen. Die kühle Nachtluft weht uns entgegen und diese frische Brise tut wirklich gut. Während wir unsere Fahrräder bereit machen, wirft Scott mir verstohlene Blicke zu. Ich schwinge mich auf mein Fahrrad, Annabelle tut es mir gleich.

"Was willst du wissen, Scotty?", schreie ich meinem Cousin zu und trete in die Pedale. Meine Freunde holen mich ein und fahren rechts und links neben mir.

"Magst du ihn?" fragt Scott gerade heraus. Ich sehe Scott an, dabei schlenkert mein Fahrrad ein wenig in Annabelles Richtung. Was soll ich darauf antworten? Scott würde ausrasten, wenn er die Wahrheit wüsste. Die Wahrheit: Ich mag Adam mehr. Seine geheimnisvolle Art und dieses Verlangen, welches er mir zeigt. Dabei ist Alex, der Vernünftige. Jemand auf den Verlass ist.

"Ja klar mag ich Alex", antworte ich mit einem schlecht gespieltem Lächeln. Aber Scott ist auf die Straße konzentriert. Er stößt ein Seufzen aus.

"Na wenigstens hast du dir denjenigen ausgesucht, der einen kleinen Funken mehr Verstand hat."

Annabelle und ich kichern und werfen uns verstohlene Blicke zu. Scott muss wirklich einen ungeheuren Hass auf die Cooper-Zwillinge haben. Bei Zeiten werde ich ihn auf jeden Fall fragen warum.

Plötzlich tritt Annabelle hart in die Bremsen. Ich erschrecke mich vor dem Geräusch ihrer quietschenden Fahrradbremsen. Langsam lasse ich mein Fahrrad ausrollen und mache Scott darauf aufmerksam. Wir schieben unsere Räder zu Annabelle zurück. Ihr Fahrrad liegt achtlos auf der Straße und sie ist eilig dabei etwas auf ihren Skizzenblock zu kritzeln.

Gerade als ich fragen will was los ist, hebt sie ihren Blick. Ihre Augen sind glasig, kein einziger Farbton ist in ihrem Gesicht zu erkennen. Scott schmeißt neben mir sein Fahrrad ebenfalls hin und reißt Annabelle den Skizzenblock aus der Hand. Sie protestiert nicht und steht still da. Ich runzele meine Stirn. Was geht hier schon wieder vor?

Ein Blick auf den Skizzenblock verrät mir, dass sie wieder eins ihrer gruseligen Bilder gezeichnet hat. Scott mustert konzentriert die Zeichnungen und fährt mit dem Finger einigen Linien nach. Auf den ersten Blick erkenne ich nur dunkle Gestalten, ähnlich wie Schatten, die auf einer Straße liegen. Um ihre Köpfe herum hat sie mit einem roten Stift, den sie immer noch fest in ihrer Hand hält, rote Kreise gezeichnet. Ähnlich wie Blutlachen.

"Warum malst du das?" Scott spricht mit grober Stimme und hält ihr die Zeichnung direkt vor das Gesicht. Ich sehe, dass er wieder bis zum äußersten angespannt ist. Irgendwas ist echt schief gelaufen mit diesem Freak. Annabelle erwacht aus ihrer Starre. Die Stifte fallen auf den Boden und mit einer schnellen Handbewegung reißt sie Scott die Zeichnung aus der Hand.

"Das geht dich nichts an", murmelt sie kleinlaut und hebt mit zitternden Händen ihre Stifte auf.

"Und ob", zischt er und packt Annabelle am Arm. Nun reicht es mir aber. Es ist okay, wenn er mich so zusammenfährt, aber die kleine Annabelle hat damit nun wirklich nichts zu schaffen.

"Scott!", fahre ich ihn an und schubse meinen Cousin von ihr Weg. Sie hebt ihr Fahrrad auf, schwingt sich drauf und radelt los. "Hab mal deine Spastiken im Griff."

Scott schnauft und wirft mir einen wütenden Blick zu. Dann stapft er zu seinem Fahrrad und fährt ebenfalls ohne mich los. Ich zucke mit den Schulter.

Meine Freunde sind solche Freaks.


Am Montag früh fehlt jeder Spur von Scott. Er ist weder an der Bushaltestelle, noch in einem unserer gemeinsamen Kurse gewesen. Auch mein Bruder lässt sich nicht blicken. In der Mittagspause sitze ich alleine auf einer Bank auf dem Schulhof. Die Jacke eng um mich geschlungen und knabbere an meinem Sandwich. Mehrere Schüler um mich herum beugen sich zueinander und tuscheln etwas. Erschrockene Reaktionen zeigen sich auf ihren Gesichtern.

Ich fasse all meinen Mut zusammen und stapfe zu einem der Mädchen aus meinem Geschichtskurs, die gerade ihren Freundinnen wahrscheinlich brühwarm das Gleiche erzählt.
Nach einer knappen Begrüßung und einem verwirrten Blick ihrerseits, lasse ich mich neben sie sinken.

"Darf ich fragen, worüber alle sprechen?"

Das Mädchen sieht ihre Freundinnen an. Dann atmet sie tief ein und beugt sich zu mir vor. "Es wurden zwei junge Leute als vermisst gemeldet. Sie sind heute nicht zur Schule gegangen und zu Hause sind sie auch nicht."

Mein Herz bleibt plötzlich stehen. "Zwei junge Leute?", bringe ich hervor. Sie nickt vorsichtig.

"Zwei Männer?" Das Mädchen nickt wieder.

Weiße Punkte tanzen vor meinem Auge. Wie in Trance stehe ich auf. Scott und Jesper sind nicht da und zwei junge Leute fehlen. Aber Mutter oder Vater hätten mich doch sicherlich gefragt, ob ich etwas weiß. Doch mein Verstand kriegt keinen klaren Gedanken hin. Das einzige was ich weiß: Mein Bruder und mein Cousin sind verschwunden.

Wie von selbst fange ich an zu rennen.

Etwas VerträumtWhere stories live. Discover now