Vorwort

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,,Mein liebes, hübsches Mädchen'',höre ich meine Oma wie aus weiter Entfernung sagen.

Ihre Stimme wabert und echot, prallt von den Wänden und verliert sich in der Stille. Sie greift meine Hand. Ich spüre ihre Falten. Meine Augen sind geschlossen.

,,Ich erinnere mich so gut an diesen Tag im November, kurz vor deinem 8. Geburtstag. Opa und ich sind mit dir in einen Tierpark gefahren, trotz der klirrenden Kälte und dem eisigen Wind. Du hast es dir so sehr gewünscht. Fast schwerelos bist du durch die Pfützen gehüpft. Als wir dann auf der Heimreise waren,bist du vor Erschöpfung im Auto eingeschlafen. Ich habe dich vom Beifahrersitz aus beobachtet. Wie friedlich du ausgesehen hast. So rein. So vollkommen. Mein Herz ist übergelaufen vor Liebe. Und jetzt...''

Ich spüre ihre Fingerspitzen an meiner Wange. Langsam fährt sie hinunter zu meinem Kinn und malt die Linie meiner Kieferknochen nach.

,,Und jetzt?'',hallt ihre Stimme fast wütend durch den Raum. ,,Was ist aus diesem Mädchen geworden?''

Blut läuft mir die Kehle hinunter. Ich schlucke; schmecke es auf meiner Zunge, so klar und stumpf und kalt wie Metall.


Die Worte kratzen über meine Stimmbänder: ,,Ich habe es getötet. Vor langer, langer Zeit.''

Julys NarbenWhere stories live. Discover now