Kapitel 2

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Benneth

,,Ich sag dir mal was, Opa, du onanierst mehr als ich und das kann definitiv nicht gesund sein!''

,,WAS?''

,,DU ONANIERST ZU VIEL!''

,,Ach so, wichsen meinst du''

Seufzend stapele ich die Playboy Hefte, die auf dem Boden im muffigen Zimmer meines schwerhörigen Großvaters verstreut liegen. Seit einigen Tagen ist das Restaurant jeden Tag so voll, dass sich niemand um Opa kümmern konnte und meine Mutter hatte mich dazu verdonnert, nun in meiner Mittagspause alles aufzuräumen. Sie ist der Meinung, Großvater könne das nicht mehr alleine. Während ich die Heftchen und leeren Taschentuchpackungen einsammele, schüttele ich lächelnd mit dem Kopf. Wichsen kann er noch, das steht fest.

Als ich fertig bin, zeigt er mit den Mittelfinger und lacht wie 'ne Krähe. Ich verstehe nicht, warum wir den Alten nicht längst irgendwo ausgesetzt haben. Der kostet nur Geld und meckert den ganzen Tag. Das, was wir für den ausgeben, könnten wir auch endlich für eine Aushilfskraft investieren.

Die Tür schwingt auf und mein älterer Bruder Malte taucht im Rahmen auf. Er trägt eine Schürze und Schweiß steht ihm wie kleine Perlen auf der Stirn. Mit ihm weht der Geruch von Basilikum, Tomatensoße und Parmesan in das Zimmer.

,,Ben, Mama braucht dich in der Küche. Ich schaff' das mit der Pasta nicht alleine.'',sagt er ganz außer Atem und ich kann ein Augenrollen einfach nicht unterdrücken.

Das Restaurant meiner Familie liegt im Herzen von Berlin und gerade im Sommer treibt es haufenweise Leute aus der Fußgängerzone in den Laden, um bei dem herrlichen Wetter hausgemachte Pizza und Pasta zu genießen. In diesen Monaten ist also jede helfende Hand notwendig und meine gesamte Familie steht von morgens bis abends hinter dem Herd, bedient oder schenkt Getränke aus.

Ich arbeite als Kellner, obwohl ich momentan eigentlich das Mädchen für alles bin. Die Arbeit im Restaurant macht mir Spaß, aber mit dem Geld, das ich hier verdiene, will ich endlich die Welt sehen. Weg von dem Trubel in Berlin, weg von meinem kleinen Zimmer und weg von allem, was mich so sehr einzueengen scheint. Nach dem Abitur konnte ich mich für keinen Studiengang entscheiden. Es fühlte sich falsch sein, etwas zu wählen, nur um irgendetwas zu studieren. Viel mehr kribbelte es gar in mir, die Luft von fernen Ländern zu atmen. Neue Sprachen, neue Kulturen, neue Menschen. Seit dem ich denken kann, bin ich in Berlin. Meine Familie stammt aus einem kleinen Örtchen nahe Rom, aber wir sind nie an diesen Ort zurückgekehrt. Meine Mutter, die aus einer wohlhabenen Familie stammt, verliebte sich in meinen Vater, dessen Familie genauso arm wie ungebildet war. Sie flohen hier her, um ihre Liebe und ihren Traum leben zu können.

Es ist nicht so, dass ich vor meiner Familie fliehen will. Ich habe vier Geschwister und zusammen mit meinen Eltern und meinem Großvater füllen wir fast ein ganzes Mietshaus. Hier ist es nie ruhig und auch wenn wir uns nicht immer vertragen, kann ich mich an keinen Tag erinnern, an der ich die unendliche Liebe in diesen Räumen nicht gespürt habe. Dennoch: im Verlaufe meiner Kindheit wurde allen klar, dass ich... anders bin. Schon im Kindergarten fiel es mir schwer, soziale Bindungen mit Gleichaltrigen einzugehen. Ich war nie ein bockiges Kind, nie grob oder gar impulsiv. Viel mehr in mich gekehrt und doch – so meine Mutter – besonnen und interessiert an den ungewöhnlichsten Dingen. Nur nicht an anderen Kindern.

Noch heute fällt mir der Kontakt zu anderen Menschen schwer. Nicht in der Hinsicht auf Konversationen, so wie mit den Kunden beispielsweise; Kommunikation auf einer Appellbasis ist möglich. Nur wenn es um Emotionen und Beziehungen geht und ich außerhalb der Höflichkeit agieren muss, scheine ich wie blockiert. Es strengt mich zu sehr an. Menschen in ihren unendlichen Facetten und ihren verstrickten Eigenarten strengen mich an.

Julys NarbenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt