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„Mittag Raphael!", rief Rica und streckte ihm ihre Faust zur Begrüßung entgegen. „Oh", war das einzige, das Raphael perplex von sich geben konnte. Mit einer unbestimmten Handbewegung begrüßte er erst sie, dann ihren Bruder, der am Steuer saß.

„Was macht ihr denn hier?", fragte er und scheiterte daran, den Argwohn gänzlich aus seiner Stimme zu verbannen.

„Ich war heute Morgen bei dir", begann Rica und ließ sich nicht von Raphaels verächtlichem Schnauben irritieren, „und hab dir unter anderem ein paar dunkle Sachen mitgenommen. Wenn wir uns beeilen", sie sah prüfend auf ihr Handy und stieß die Tür auf, sodass Raphael hineinklettern konnte, „wenn wir uns beeilen müssten wir es noch halbwegs rechtzeitig zum Friedhof schaffen."

Noch bevor Raphael Widerspruch einlegen konnte, saß er auch schon im Auto. Rica erteilte ihrem Bruder das Zeichen zur Weiterfahrt. „Zum Friedhof?", wiederholte Raphael hohl. Seine Spucke war auf unerklärliche Art und Weise aus seinem Mund verschwunden, seine Zunge fühlte sich unheimlich samtig und klebrig an.

Victors Fahrweise pressten ihn flach gegen den Rücksitz, sein Kopf landete mit einem dumpfen Geräusch auf der Kopfstütze.

„Siebzehn Uhr dreißig. Die Karte lag noch auf deinem Schreibtisch." Raphael gab ein ablehnendes Grunzen von sich. Rica reichte eine schwarze Jeans und ein graues T-Shirt zu ihm nach hinten.

Resigniert nahm Raphael zur Kenntnis, dass es sich bei dem T-Shirt um sein Schlafanzugoberteil handelte, das zwar noch vor kurzem in der Wäsche gewesen war, ihm aber die Eleganz eines übergewichtigen Labradors verpasste.

„Es müsste auch noch eine Bürste im Handschuhfach liegen. Deine Haare sehen nicht so aus, als hättest du sie heute Morgen gekämmt."

Raphael nahm ihr die Sachen aus der Hand und platzierte sie auf dem Rücksitz.

„Rica, ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist", sagte er gequält. Sie sah ihn vorwurfsvoll an. „Im Ernst, ich kann das nicht machen. Ich kenne die da alle doch nicht!", brachte er das Argument vor, dass sie während ihrer vorherigen Diskussionen auch schon nicht hatte zählen lassen.

„Mein lieber", begann Rica betont langsam und Raphael konnte sehen, wie Victor sich auf dem Fahrersitz köstlich amüsierte. „Du hast eine Einladung samt persönlicher Worte erhalten. Du hast mit Lissas Bruder geredet, der dich abermals eingeladen hat. Und außerdem kennen nicht mal die Hälfte der Leute aus meiner Stufe die da heute hingehen Lissa, geschweige denn ihre Familie!"

Er verzog das Gesicht. „Es ehrt mich wirklich sehr, dass du in mein Haus eingebrochen bist, um mir meine hässlichste Hose und mein Schlafanzugoberteil für eine Beerdigung zu stehlen, allerdings kann ich das einfach nicht tun."

Rica schob die Unterlippe vor, ihr Haar tanzte in einer wilden Choreografie um ihren Kopf herum. „Du musst, so einfach ist das." Sie lehnte sich zu ihm nach hinten und zeigte auf die dunkle Jeans. Auffordernd schossen ihre Augenbrauen in die Höhe. Raphael fuhr über die Hosentaschen. „Schokolade Traube-Nuss. Widerlich, dass du die Sorte immer noch magst", bemerkte Rica und im selben Moment entdeckte Raphael in der linken Tasche Lissas Handy.

„Du musst. Du hast es mir versprochen", sagte Rica eindringlich und sanft zugleich. Victor räusperte sich, wie um zu zeigen, dass er auch noch anwesend war. Raphael presste die Zunge gegen seinen Gaumen und versuchte nachzudenken. Rica starrte ihn solange an, bis er aufgab. „Meinetwegen", kapitulierte er, Rica ließ sich zufrieden in ihren Sitz fallen.

„Und wo ziehe ich mich um? Ist dieser Punkt auch in deinem Masterplan enthalten?" Raphael trommelte mit seinen Fingern gegen die Kopfstütze des Vordersitzes. „Und wie komme ich wieder zurück? Ich möchte nicht wieder bei Frau Nie-" „Du ziehst dich natürlich hier im Auto um", unterbrach Rica ihn im Brustton der Überzeugung. „Ganz toll", murmelte Raphael. Rica dirigierte ihren Bruder durch die Straßen eines Wohnviertels.

Uranus ist auch nur ein PlanetWhere stories live. Discover now