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4: Verzerrte Realität

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Ich war nicht in der Lage, den Worten meines Dozenten zu folgen oder gar einen vernünftigen Satz aufs Papier zu kritzeln. All meine Gedanken drehten sich um Joshua und die Werwölfe. Er hatte noch geschlafen, als ich das Haus verlassen hatte und ich konnte mich nur schwer von der Idee trennen, ihn zu wecken und mit Fragen zu bombardieren.

Letztlich ließ ich es sein. Er hatte genug durchgemacht und sich eine Pause verdient. Drei Tage gaben die anderem dem Jungen, bis sie ihn holen würden, was auch immer das wieder bedeutete. Schon die Erinnerung an die zwei Männer, deren Gesichter ich nicht kannte und die einfach in meine Wohnung eingebrochen waren, jagte mir einen Schauer über den Rücken. Da fiel mir unpassender Weise ein, dass ich meine Balkontür reparieren lassen musste. Es sei denn, sie würden diese bei ihrem nächsten Besuch noch mal zerschmettern.

Während ich meine To-Do-Liste zusammenstellte, beendete mein Dozent die Vorlesung und ich sprintete aus dem Saal. Meine Füße trugen mich problemlos durch die Gänge, die mit Kunstwerken der Studierenden geschmückt waren, und hinaus aufs Campusgelände. Eine kreisrunde Fläche bestehend aus Rasen und einzelnen Wiesenblumen breitete sich vor mir aus. Drumherum verlief ein Pflasterweg, der von Linden umrandet wurde. Ich verbrachte eigentlich gerne meine Freizeit unter dem blauen Himmel an einen Baum gelehnt mit einem Zeichenblock in der Hand, aber heute musste ich schnell nach Hause. Falls Joshua wach war, durfte er sich auf ein langes Gespräch einstellen.

„Hey Kathy!", hörte ich eine bekannte Stimme und drehte mich noch immer meinen Tag durchplanend um. Beth, meine Freundin aus Grundschultagen, kam auf mich zugelaufen. Sie balancierte einen Stapel Keilrahmen auf beiden Armen. „Wollen wir uns ins Café setzten?"

„Immer gern, aber ich habe leider schon etwas vor."

„Was? Doch nicht etwa ein Date?" Sie stieß mich mit ihrem Ellbogen in die Seite und grinste breit.

„Nein, das nicht." Es war schon einige Jahre her, dass ich ein echtes Date hatte. „Ich muss noch ein paar Sachen erledigen."

„Okidoki, dann holen wir das aber nach!"

„Sicher." Wir verabschiedeten uns und jeder ging seines Weges.

Ich stieg in mein Auto, in dem es noch immer nach nassem Hund roch. Mein Herz schlug schneller, als ich den Motor startete und aufs Gas drückte. Die Nervosität steigerte sich von Minute zu Minute. Ich wollte mehr wissen, am liebsten alles, was es über diese „Werwölfe" zu wissen gab. Warum sie existieren und wie solche Wesen unentdeckt in meiner Heimatstadt leben konnten. Ich dachte an die Nacht zurück und mir wurde klar, dass sie wahrscheinlich alle potentiellen Mitwisser töteten.

Ehe ich den Schlüssel ins Türschloss stecken konnte, hörte ich bereits jemanden durch den Flur poltern und beim Öffnen schnappten zwei kleine Hände nach meiner Jacke. Ich wurde in meine Wohnung gezerrt, sah zuerst nur einen Schopf aus aschblondem Haar, bis wir in der Küche zum Halten kamen. Joshua begutachtete mich von allen Seiten und schenkte mir ein seichtes Lächeln. Gestern hatte ich ihm eines meiner alten T-Shirts gegeben, das er noch immer trug.

„Willkommen zurück", begrüßte er mich heiter. „Ich habe mich schon gefragt, wo du bist. Nicht bei dem Mann, oder?"

„Welchem Mann?", hakte ich verwirrt nach.

„Dem von gestern, der mich verarztet hat."

„Ach so, Dr. Teger. Nein, aber ich muss später zu ihm." Meine Antwort schien ihm gar nicht zu gefallen. Mit vorgezogener Unterlippe nahm er auf einem meiner drei Stühle am Tisch Platz. „Wieso so grimmig? Er hat dir schließlich geholfen."

„Nein. Er nicht, sondern du!"

Ich ließ mich nicht auf die sich ankündigende Diskussion ein und versuchte ihn auf ein anderes Thema zu lenken.

Paws on GlassWhere stories live. Discover now