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5: Mit offenen Karten hinter verschlossenen Augen

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„Wie meinst du das, er hat Verdacht geschöpft?", wiederholte ich Joshua und stemmte die Arme in die Seite.

„Wieso sollte er sonst hier auftauchen?"

„Aus reiner Höflichkeit?" Gideon Teger hatte mehr als einmal deutlich gemacht, dass er mich unterstützen wollte, also wieso sollte er Verdacht schöpfen? „Du machst dir zu viele Gedanken. Er weiß nichts von euch Werwölfen. Für ihn warst du ein Hund, nicht mehr."

„Und du machst dir zu wenig Sorgen!"

Mit diesem Satz stand er auf und stürmte - so gut es eine genähte Schnittwunde zuließ - ins Wohnzimmer. Wenn er es nicht anders wollte, ich könnte ebenso gut wie er wegen jeder Kleinigkeit schmollen, nur mit dem Unterschied, dass ich in wenigen Minuten zur Arbeit musste.

„Ich fahre jetzt!", rief ich ihm nach. Keine Antwort. „Bin gegen Mittag zurück."

Es nützte nichts, weder seine Bedenken noch mein Dagegenanreden. Genervt parkte ich aus, rammte beinahe den Pfeiler neben den Fahrradständern und musste mich nach diesem Schock kurz sammeln. Ich war aber auch zu doof. Wieso nahm mich das alles so sehr mit? Und wie hätte es mich nicht beschäftigen können? Werwölfe. Ich verstand die Welt nicht mehr, habe sie vielleicht auch nie richtig verstanden.

Auf der Straße reihte sich Auto an Auto. Die Ampeln entschieden sich zu oft für Rot und ich sank immer tiefer in meinen Sitz. Was, wenn Dr. Teger wirklich etwas von den Werwölfen wusste? Aber wie und woher? Vielleicht wusste er, dass der vermeintliche Hund eher ein Wolf war, doch warum hatte er nichts gesagt? Würde er jemanden mit einem waschechten Wolf nach Hause fahren lassen? Eher nicht. So verantwortungslos schätzte ich ihn nicht ein.

Endlich löste sich der zähe Fluss aus Autos und ich hatte freie Fahrt, allerdings war nun der Parkplatz der Praxis überfüllt. Ich bekam den letzten Platz und kletterte rasch aus dem Wagen. Im Wartezimmer herrschte stickige Luft. Ich drängte mich durch die Leute an der Anmeldung, wo Dr. Mayhew sich um seine Patienten kümmerte. Eigentlich wollte ich in mein Kämmerchen, aber Gideon hielt mich vorher auf.

„Gut, dass du da bist", sagte er erschöpft und rieb sich den Schweiß von der Stirn. „Ich brauche dich im Behandlungszimmer."

Dieser Tag war der absolute Horror. Ich konnte mich bereits in der Mittagspause nicht mehr daran erinnern, was ich alles gleichzeitig erledigt hatte. Gideon hatte mich vom einen ins andere Zimmer geschickt, wo ich sofort in Beschlag genommen wurde. Erst jetzt, wo ich auf dem Stuhl in der kleinen Küchenecke saß, bemerkte ich, dass meine Hand blutete.

„Kathleen." Dr. Teger nahm meine Hand in seine und schaute sie besorgt an. „Das müssen wir schnell versorgen, nicht dass sich die Wunde entzündet."

Mit routinierten Handbewegungen verband er meine Hand, sodass nur noch der weiße Stoff zu sehen war. Keine Ahnung, wann oder wer mich verletzt hatte, doch durch die ganze Aufregung war es mir nicht einmal aufgefallen.

„Geht es dir gut?", hakte er nach und setzte sich auf die Bank gegenüber von mir. „Heute war es stressiger als sonst. Kamst du zurecht oder habe ich dich überfordert?"

„Nein, nein. Es ist alles in Ordnung, keine Sorge."

„Und wegen meines Besuchs heute Morgen möchte ich mich nochmals entschuldigen. Das war unangebracht von mir, aber ich konnte nicht vergessen, dass du allein mit einem verletzten Hund zu Hause sitzt, deine Freizeit für die Praxis opferst und nebenbei noch studierst. Ich wollte nur sichergehen, dass du nicht unter dem Druck zusammenbrichst."

Also schöpfte er keinen Verdacht, dass mein verletzter Hund ein Werwolf sein könnte, sondern sorgte sich nur um meine Gesundheit. Ich presste die Lippen aufeinander, rieb mit einem Finger über den frischen Verband an meiner Hand und schluckte den Kloß in meinem Hals herunter.

Paws on GlassWhere stories live. Discover now