Prolog

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Ich fühlte immer noch die wärmenden Sonnenstrahlen auf meiner Haut, obwohl wir schon seit einigen Minuten im Spiegelsaal des Königspalastes standen. Dieser Gedanke gab mir für einen kurzen Moment etwas Ruhe, bevor sich die Nervosität wieder in meinen Körper grub. Zwar fiel durch die verglaste Decke auch hier das Licht auf meine Arme, aber das änderte nichts daran, dass es mir einige Male kalt den Rücken herunterlief.

Immer mehr Elfen strömten herein und wurden von der Eleganz verzaubert. Es war schön zu sehen, wie ihre Augen sich weiteten, wenn sie sich in den hohen Wänden erkannten, die nur von vereinzelten Säulen geteilt wurden. Oder wenn sie das Farbenspiel in den Kristallen des riesigen Kronleuchters an der Decke betrachteten. Den weißen Marmorboden und die Bühne am hinteren Ende des Raums kannte jeder aus dem Fernsehen, aber die wahre Größe wurde einem erst bewusst, wenn man dort stand.

Mir war es bei meinem ersten Besuch ähnlich ergangen und bei dem Anblick meiner Mitelfen war diese Erinnerung präsent wie am ersten Tag. Es war ein unglaubliches Gefühl, zu wissen, dass man ein Teil eines großen und mächtigen Reiches war. Einst hatten wir unter den Menschen gelebt, doch das war schon viele Jahre her. Seit sich unser Land als Spiegelbild über dem Gebiet des heutigen Europas, zwischen Frankreich und Österreich gebildet hatte, bestand kaum noch Kontakt zur Außenwelt. Die verschiedenen Sprachen in den Regionen erschwerten die Kommunikation untereinander, aber unser Königshaus einte uns. Das war das bindende Glied.

Eigentlich hatte ich gehofft, dass es mich von meinen Sorgen ablenken würde, wenn ich nach meiner besten Freundin Azalea Ausschau hielt und die Menge beobachtete. Leider war das nicht der Fall. Die Gedanken waren immer noch so drängend wie schon in den letzten Tagen, seit ich diesen schrecklichen Albtraum hatte.

Was, wenn bei mir etwas schief geht? Wenn das Serum bei mir nicht wirkt? Oder ich auf der Bühne ohnmächtig werde?

Meine Familie redete munter miteinander und versuchte, auch mich immer wieder in das Gespräch miteinzubeziehen, doch ich bekam das alles nur nebenbei mit. Wo blieb Lea nur? Die Zeremonie würde in wenigen Minuten beginnen, und ich hatte sie immer noch nicht durch die Tür hereinkommen gesehen. Hatte sie verschlafen? Nein, das konnte nicht sein. An diesem wichtigen Tag würde ihr dieses Missgeschick niemals passieren. Wahrscheinlich hatte ich sie vor Aufregung einfach übersehen. Das wäre nicht unwahrscheinlich.

„Jasmin, hör auf, dir solche Sorgen zu machen", riss meine Mutter mich aus den Gedanken. Unterstützt wurde sie von meiner großen Schwester Cammi, die mit ihrer Hand vor meinem Gesicht herumwedelte. „Du wirst sehen, alles wird gut verlaufen. Danach haben wir einen Tisch in deinem Lieblingsrestaurant reserviert. Wir müssen es doch feiern, dass unsere kleine Maus endlich alt genug ist, um eine vollwertige Elfe zu werden."

Mein Lächeln wirkte mehr erzwungen als ehrlich, sodass es mich nicht wundern würde, wenn es einer Grimasse ähnelte. „Maman, du kannst mir noch oft sagen, dass alles gut wird. Ich werde es erst glauben, wenn die Zeremonie vorbei ist. Diese Vorstellungen in meinem Kopf sind einfach zu lebendig."

Hätte ich nicht diesen Albtraum über meine missglückte Beflügelung gehabt, hätte ich mir keine Sorgen gemacht. Aber die Angst vor genau solch einem Szenario jeglicher Art saß seit dieser Nacht tief in meinem Herzen und ließ sich nicht vertreiben, egal, wie oft ich mir versicherte, dass nichts davon wahr werden würde.

Erneut breitete sich eine Kälte über meinem Körper aus, als die Bilder wieder in mein Bewusstsein vordrangen.

Mein Blick in den Spiegel, der mir schwarze Flügel zeigte und hinter mir nur noch einen brennenden Raum. Keine Elfen, sondern nur noch ich, die von Feuer eingeschlossen wurde.

Druck baute sich auf meiner Brust auf. Mir fiel es plötzlich schwerer zu atmen. Allein der Gedanke an diese Möglichkeit rief in mir den Wunsch hervor, zu verschwinden.

Chroniken des Himmels 1 - Elfentochter (Leseprobe vor Korrektorat)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt