Kapitel 1

58.6K 2.3K 719
                                    

„He, Elfenteufel!"

Nach außen hin ließ ich mir nicht anmerken, wie sehr mich diese Bemerkung auch in der zweiten Woche nach der Beflügelung noch traf. Versuchte zu verbergen, dass ich jedes Mal schlucken musste, wenn mich jemand mit diesem Wort und nicht mit meinem Namen ansprach. Als würde mich das Schwarz automatisch zu einem Teufel machen.

Ich zählte jeden Tag, mit dem ich dem Abschluss näherkam. Nur noch 55, bis ich das nicht mehr ertragen müsste. Aber ob es außerhalb der Schule anders wäre? Vielleicht würde ich diesen Vorurteilen nie entkommen können. Niemals hätte ich gedacht, dass meine Flügel eine so große Auswirkung haben würden. Es war doch nur eine Farbe. Jeder Lehrer hatte uns immer gepredigt, dass sie unser Leben nicht beeinflussen würden. Aber bei Schwarz war das anders.

Während des Unterrichts hielt ich den Kopf gesenkt, versuchte, so unsichtbar wie möglich zu werden und niemanden daran zu erinnern, dass die Elfe mit den schwarzen Flügeln in dieser Klasse saß. Am Ende des Tages atmete ich fast schon erleichtert auf. Die letzte Stunde war vorbei, doch ich hatte nicht damit gerechnet, dass meine Klassenkameraden genau auf diesen Moment gewartet hatten.

Schon als ich den Gang betrat, in dem sich mein Spind befand, bemerkte ich einen stechenden Geruch, der immer stärker wurde, je näher ich kam. Es stank wie in einem Pferdestall, in dem faule Eier lagen. Zumindest rief der Gestank in meinem Kopf genau dieses Bild hervor. Mein Herz klopfte schneller, und in mir machte sich ein Fluchtinstinkt breit. Ich sollte ihn nicht öffnen, sollte einfach verschwinden und nie wieder in die Schule zurückkehren. Aber ich hörte nicht auf mein Gefühl. Weglaufen würde nichts ändern. Es würde nicht verschwinden lassen, was auch immer meine Mitschüler da hineingelegt hatten. Nur noch die Tür lag zwischen mir und dem Inhalt.

Kurz blickte ich mich im Gang um. Nur vereinzelt standen Mitschüler herum, aber niemand beachtete mich genauer, und darüber war ich verdammt froh.

Meine Hand zitterte, als ich sie an den Henkel legte und zögerlich daran zog. Im ersten Moment seufzte ich erleichtert, denn mir fiel nichts entgegen. Dann erst nahm ich das Chaos wahr, das sich dort drinnen befand. Mein sonst so sauberer und ordentlicher Spind war komplett auf den Kopf gestellt worden. All meine Schulbücher waren zerrissen, die Seiten flogen lose herum, und auch die Quelle für den Gestank entdeckte ich. Pferdeäpfel, die man zwischen die Seiten geklebt hatte, um noch einige vollständige Wälzer zu simulieren, wie ich feststellte, als ich einen von ihnen herausholen wollte.

Mit klebrigen Händen stand ich vor meinem Aufbewahrungsort, der diesen Namen nicht mehr verdiente. Alles war vernichtet, nicht mehr vorhanden. In mir brodelte es. Wer auch immer das getan hatte, hatte eine Grenze überschritten. Das war Sachbeschädigung. Nicht nur meiner Gegenstände, sondern auch die der Schule. Ich ballte die Hände zu Fäusten.

„Wir wollten, dass du dich schon mal mit deiner Zukunft anfreunden kannst", drang Magnolias hämische Stimme zu mir durch.

Als ich mich von dem Chaos wegdrehte, stand ich ihr direkt gegenüber. Ihr Gesicht trug ein teuflisches Lächeln, und das Glitzern in ihren Augen machte mir klar, dass diese ganze Aktion ihre Idee gewesen war und sie sehr stolz auf ihren Einfall war. Keine Spur von Reue war zu entdecken, was meine Wut nur noch mehr anfachte.

Ich presste die Lippen aufeinander. O ja, sie war so schrecklich schlau. Wahrscheinlich verlangte sie auch noch, dass ich mich bei ihr dafür bedankte, dass sie mir meine Perspektiven aufzeigte und mir dabei half, sich daran zu gewöhnen.

„Das ist nicht meine Zukunft", zischte ich und wollte mich an ihr vorbeidrängen. Die Pferdeäpfel könnte ich morgen auch noch aufräumen. Zuerst wollte ich mich bei unserem Rektor beschweren. Doch im Gegensatz zu vorher war der Gang nun nicht mehr leer. Stattdessen hatte sich eine kleine Gruppe gebildet, die mich nicht entkommen ließ.

Chroniken des Himmels 1 - Elfentochter (Leseprobe vor Korrektorat)Where stories live. Discover now