Noah tauchte den ganzen nächsten Tag nicht auf.
Als wir hinübergehen wollten, um nachzuschauen, wie es ihr ging, meinte Tante Florence, dass wir es besser lassen sollten.
„Ihr Vater ist da, und sie haben bestimmt viel zu besprechen. Da würden wir nur stören", erklärte sie mit einem ernsten Blick, der keine Widerrede zuließ.
Amalia versuchte dennoch, dagegen zu argumentieren, ihre Sorge um Noah war offensichtlich. Doch Tante Florence blieb standhaft, und so blieben wir widerwillig im Haus.
Der Tag zog sich endlos hin, während wir uns in Raes Zimmer verkrochen und den Klängen von Elvis lauschten, der leise im Hintergrund sang. Eine seltsame Melancholie erfüllte den Raum, und keiner von uns wusste so recht, wie wir mit der Situation umgehen sollten.
Wir alle wollten einfach nur nach Noah schauen.
Vor allem nach der turbulenten Nacht zuvor, aber uns blieb nichts anderes übrig, als abzuwarten und uns mit unseren Gedanken zu beschäftigen.
Irgendwann fragte Amalia mich mit besorgter Stimme: „Glaubst du, es geht ihr gut?"
Ich zuckte mit den Schultern und starrte aus dem Fenster, wo die Nachmittagssonne langsam hinter den Bäumen verschwand. „Ich hoffe es. Aber ohne zu wissen, was los ist, können wir nur spekulieren."
Rae saß auf seinem Bett und warf einen kleinen Basketball immer wieder gegen die Wand. Das rhythmische Klopfen füllte die Stille zwischen uns. „Vielleicht sollten wir ihr einfach etwas Raum geben. Ihr Vater ist nicht oft da, vielleicht braucht sie die Zeit mit ihm", meinte er nachdenklich.
Ich nickte langsam, obwohl sich mein Magen bei dem Gedanken zusammenzog. Die Ungewissheit nagte an mir, und ich konnte das flaue Gefühl nicht abschütteln.
Schließlich beschloss ich, den beiden alles zu erzählen, was in der vergangenen Nacht passiert war. Es war mir unglaublich peinlich, aber nach allem, was passiert war, fühlte ich mich ihnen das schuldig. Außerdem konnte ich die Last dieser Geheimnisse nicht länger alleine tragen.Als ich von dem Kuss mit Noah erzählte, leuchteten Amalias Augen auf, und sie quietschte vor Freude, bevor sie mich in eine enge Umarmung zog. „Oh mein Gott, Gracie! Das ist so wunderschön!"
Rae lächelte nur leicht und nickte verständnisvoll. „Ich hatte schon so eine Vermutung", sagte er leise. Seine ruhige Unterstützung bedeutete mir mehr, als Worte ausdrücken konnten.Mein Vater wusste bereits einige Bruchstücke von dem, was passiert war, nachdem er mich auf der Wache abgeholt hatte. Aber er drängte mich nicht, mehr zu erzählen. Stattdessen bat er mich nur, meine Mutter anzurufen, da sie sich Sorgen machte.
Das Gespräch mit meiner Mutter war nervenaufreibend und ermüdend gewesen. Mehrmals während des Telefonats liefen mir die Tränen über die Wangen, während ich versuchte, meine Gefühle in Worte zu fassen. Sie stellte viele Fragen, versuchte mich zu verstehen und zu beruhigen, aber ich fühlte mich trotzdem verloren.
Ich hatte tausend Fragen, aber niemand schien die Antworten zu haben. Alle versicherten mir zwar immer wieder, dass sie mich verstanden, aber das half wenig, solange ich mich selbst nicht verstand.

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Girl Crush - Sapphic Novel
RomanceJeden Sommer kehrt Gracie auf die idyllische Insel ihres Vaters zurück. Doch in diesem Jahr ist alles anders. Noah, ihre Kindheitsfreundin, zieht erneut in das Haus nebenan, und bald finden sich Gracie, Noah, Amalia und Rae in ihrer alten Clique wie...