Kapitel • 1

42.2K 706 87
                                    

Geschrei und ein lautes Poltern drangen an mein Ohr und rissen mich aus dem Tiefschlaf. Blinzelnd sah ich zu meinem Wecker, der auf meinem Nachttisch stand. Es war doch erst acht Uhr! Seufzend sank ich zurück ins Kissen und hörte dem Fluchen meiner Mutter zu.
Weshalb sie gerade einen Wutanfall hatte, wollte ich am liebsten gar nicht wissen.
Müde rieb ich über mein Gesicht und sah zu meinem Fenster. Die Sonne schien durch meine rosa Vorhänge, die der Wind sanft aufbauschte. Heute würde ein schöner Tag werden. Meine Gedanken hingen noch meinem Traum von letzter Nacht nach, am liebsten wäre ich jetzt auf einer einsamen Insel in der Südsee. Meinen Körper durchstreckend, erhob ich mich und schob meine Beine über die Bettkante, um aufzustehen. Bei dem Lärm würde ich keine Minute länger schlafen können.
»Du solltest ernsthaft darüber nachdenken, was dein Problem ist, Susan!«, hörte ich eine männliche Stimme im Flur. Wie oft ich mit meiner Mutter diskutiert hatte - über die vielen Affären, Liebschaften und geheimen Treffen mit verheirateten Männern, konnte ich langsam nicht mehr zählen. Ich fragte mich ernsthaft, ob es diese Frau irgendwann kapieren würde, dass das kein Benehmen einer 46 Jährigen war, die verantwortungsbewusst sein sollte. Doch sie hatte ihren eigenen Kopf. Nun, diese Eigenschaft hatte ich dann wohl von ihr geerbt.
Gähnend kam ich aus meinem Zimmer, als mir Samuel, Mum's neueste Eroberung, im Flur entgegen kam. Er war gerade dabei sich seine Jacke im Gehen anzuziehen und nahm seine Autoschlüssel, die hinter mir auf der Kommode lagen.
»Deine Mutter spinnt doch, sie soll mich bloß nicht wieder anrufen, sag ihr das!«, schrie er durch den Korridor in Richtung des Schlafzimmers. Das war wohl nicht nötig, denn bei dieser Lautstärke hatte sie es sicher schon gehört.
Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss und Sam war gegangen, ohne dass ich ihm hätte etwas erwidern können.
Kopfschüttelnd schleppte ich mich in die Küche, um mir einen Kaffee zu machen. Das war genau was ich jetzt benötigte, viel Koffein, um diesen Tag zu überstehen.
Während ich die Kaffeemaschine einschaltete und der heißbegehrten, dunklen Flüssigkeit beim Durchlaufen zusah, überlegte ich. Was hatte meine Mum wohl jetzt schon wieder angestellt? Der arme Samuel hatte es ziemlich eilig, das Weite zu suchen.
Eins wusste ich genau, mir würde so etwas niemals passieren. Ich würde nicht jedem x-beliebigen Kerl verfallen. Zu oft hatte ich miterlebt, wie meine Mutter von einer Beziehungskatastrophe in die nächste schlitterte.
Sie hatte gewissermaßen ein Händchen dafür, immer in einen unsäglichen Schlamassel zu geraten.
Ich stellte die Teetassen und Saftgläser in die Spülmaschine. Mum war nicht gerade die perfekte Hausfrau. Sie war eher das immer gut gelaunte Party Girl, das ihr Leben in vollen Zügen genoss.
Wann war es eigentlich dazu gekommen, dass ich hier die Vernünftigere werden musste?
Immer wieder übernahm ich sämtliche Aufgaben im Haushalt. Ich kümmerte mich um den Einkauf und sah zu, dass die Rechnungen bezahlt wurden.
Sie morgens aus dem Bett zu scheuchen, sodass sie pünktlich zur Arbeit kam, war noch das Einfachste.

Mit einer vollen Kaffeetassen ging ich zu ihrer Schlafzimmertür und klopfte an.
»Mum? Ist alles okay?«
Langsam legte ich mein Ohr an das Türblatt. Es war still im Zimmer. »Mum, kann ich reinkommen? Was war denn heute Morgen schon wieder los bei dir? Warum ist Samuel so ausgeflippt?«
In dem Moment als ich diese Frage stellte, biss ich mir auch schon auf die Zunge. Wollte ich das überhaupt wissen? Ich wusste, dass sie gleich die Tür aufreißen würde und ich mir die ganze Story bis zum Schluss anhören musste.
»Morgen Schatz.« Sie öffnete schwungvoll die Tür und sprang zurück in ihr ungemachtes Bett.
»Mum, ich will eigentlich doch nicht wissen was los war, aber bitte, könntest du nicht langsam etwas vernünftiger werden?« Im Zimmer herrschte ein heilloses Chaos.
»Was ist los mit dir, Mia? Seit wann bist du so zugeknöpft?«, entgegnete sie mir mit einem verschmitzten Lächeln.
»Ich versuche dir nur zu sagen, dass ich es langsam nicht mehr aushalte. Kannst du dich denn nicht einmal im Leben benehmen, wie eine verantwortungsvolle Mutter es eben tut?« Genervt rollte ich die Augen, auch wenn ich meine Mum sehr liebte, manchmal kam ich mir vor wie die Erwachsenere von uns beiden.
»Aber Schatz, du weißt genau, dass du das nie erleben wirst. Zwölf Jahre lang habe ich mich in einen goldenen Käfig sperren lassen. Jetzt bin ich dran, ich will leben!« Krampfhaft hielt sie sich die Hände vor ihre üppigen Brüste. Meine Mutter war eine elegante, große Erscheinung. Ich hatte ihre dunklen, welligen Haare geerbt, doch statt der braunen Augen, wie meine Mum sie hatte, hatte ich grüne, wie mein Daddy. Oft musste ich mir anhören, wie sie mich mit ihm verglich.
»Mum, halte Dad da raus. Es war deine Entscheidung, damals nicht mit ihm nach Deutschland zu gehen und er hat es akzeptiert.« Ich stellte ihren Kaffee auf den Nachttisch und fischte ein paar T-Shirts vom Boden. »Und etwas mehr Ordnung wäre auch nicht schlecht, hier sieht es aus wie im Schweinestall.«
»Deinen Vater zu verlassen, war die beste Entscheidung meines Lebens, glaub mir.«
Verschlafen streckte sie ihre Arme in die Luft und ließ sich zurück in die Kissen fallen. »Mia, wolltest du dich nicht mit Ally treffen?«
Verdammt! Ally hatte ich ganz vergessen.
»Oh Mum, ich komme beinahe zu spät!« Hastig gab ich ihr einen Kuss auf die Stirn und lief im Eiltempo in Richtung Badezimmer.
Heute war Samstag. Ally hatte mir gestern abgesagt. Eigentlich wollten wir zusammen im Park joggen gehen und so hatten wir es auf heute verlegt.
Ally war, seit dem Kindergarten, meine beste Freundin. Jede freie Minute waren wir zusammen.
Schnell sprang ich in meine Sportsachen, duschen würde ich wenn ich zurückkäme. Meine langen, braunen Haare band ich mir zu einem wilden Messy Bun. In Eile schnappte ich mir mein Handy samt Kopfhörer und schon war ich unterwegs.
»Bis heute Abend, Mum. Viel Spaß an der Arbeit, hab dich lieb.« Ohne auf eine Antwort zu warten, zog ich die Tür hinter mir zu.
Mit schnellen Schritten joggte ich die drei Stockwerke hinunter. Denn auf den Aufzug wollte ich nicht warten.
Es war heiß heute, deshalb hatte ich mich für mein bauchfreies Top entschieden und meine weißen, sehr knappen Shorts. Ich steckte mir die Kopfhörer in die Ohren und lief die Jay Street runter bis zur Atlantic Avenue. Dann rechts rüber in Richtung Brooklyn Bridge Park.

Ally stand schon an der verabredeten Parkbank und machte ihr Warm-Up, als ich um die Ecke bog.
»Hey Ally!«, rief ich.
Heute waren viele Leute im Park unterwegs. Sie gingen spazieren oder lagen auf Picknickdecken im kühlen Schatten der großen Eichenbäume.
Ally sah zu mir rüber.
»Na, wo warst du denn so lange? Wir sagten doch zehn Uhr.«
Ich machte einen genervten Gesichtsausdruck, den Ally schon deuten konnte.
»Lass mich raten, deine Mum?« Ich musste lachen, weil sie mich auch ohne Worte verstehen konnte.
»Sie hatte heute Morgen Streit mit Samuel. Eigentlich dachte ich, sie hätte endlich mal einen Typen, mit dem sie es etwas länger als drei Wochen aushält.« Ich mochte Samuel. Er war mir gegenüber immer sehr höflich und aufgeschlossen gewesen.
Ally und ich liefen nebeneinander her.
»Ich dachte auch, dass Susan jetzt endlich mal den Richtigen gefunden hat. Er sah nicht nur gut aus, sondern hatte auch noch ein angenehmes Wesen. Ach ja und kochen konnte er auch toll«, schwärmte sie. Es stimmte, Samuel hatte die letzten zwei Wochen ständig was im Ofen und es war jedes mal saulecker. Was auch nicht verwunderlich war, schließlich gehörte ihm das beste Restaurant in ganz Brooklyn.
Um mir meinen Schnürsenkel zu binden, hielt ich kurz an.
»Genug von meiner Mutter, was ich dich eigentlich fragen wollte. Wo warst du gestern? Du hast mir gar nicht gesagt, weshalb du nicht kommen konntest. Du mieseste Freundin der Welt«, scherzte ich und Ally hielt sich die Hand vor den Mund. Ihre Augen hatten dieses gewisse Funkeln, das ich nur zu gut kannte.
»Wer ist es?« Gespannt musterte ich sie von oben bis unten. »Ally Stanton, sofort erzählst du mir wer er ist!«, beharrte ich.
Sie lächelte und strich sich eine ihrer blonden Haarsträhnen hinters Ohr.
»Du wirst es mir nicht glauben, aber ich hab dir doch von diesem Typen erzählt, den mir mein Bruder vorgestellt hat.« Brandon war Allys Bruder, er war Künstler und hatte in Brooklyn ein kleines Atelier.
»Ja, ich erinnere mich, was war das noch mal für ein Kerl? Auch Künstler wie Brandon?« Ally fing wieder an zu Laufen und ich tat es ihr gleich. Gemächlich joggten wir in Richtung Pier. Hier unten wehte ein angenehm frischer Wind und kühlte uns ab.
»Ja, er verhandelt mit irgendwelchen reichen Schnöseln über Gemälde und Skulpturen, er ist Kunsthändler.«
»Und, hattest du ein heißes Date mit ihm?« Wieder lachte ich und Ally grinste ebenfalls breit über das ganze Gesicht.
»Wir sind uns letzten Mittwoch bei Brandons Ausstellung über den Weg gelaufen und er hat mich Freitag eingeladen, mit ihm den Tag zu verbringen. Wir waren in den Hamptons und sind am Strand spazieren gegangen. Abends waren wir noch gut essen.«
»Wow, das hört sich echt romantisch an«, hörte ich mich sagen. Ich hatte schon immer viel für Romantik übrig. Ich liebte Liebesfilme mit großem Happy End. Aber sowas gab es eben nur im Film.

Es war kurz vor zwölf Uhr, als wir unser Lauftraining beendeten.
»Wie wird es weiter gehen, mit dir und diesem Kerl?«, fragte ich sie.
»Sein Name ist André. Er wollte sich melden, sobald er aus Boston zurück ist. Ach Mia, er ist so toll, noch nie hast du einen so gut aussehenden Mann gesehen. Er ist groß, dunkelhaarig und vor allem ist er klug.« Von der vielen Schwärmerei wurde mir ganz duselig. Ich konnte ihre Begeisterung nicht ganz verstehen, vielleicht weil ich noch nie wirklich verliebt war.
Ich war 23, andere Mädchen in meinem Alter hatten da schon so einiges an Erfahrung, aber nicht ich. Sicher würde ich als einsame Jungfer sterben. Aber was sollte ich machen? Der Richtige war mir noch nicht begegnet. Sicher, es gab da 1-2 Kandidaten, mit denen ich es mir hätte vorstellen können. Aber es war nie dazu gekommen.
Mit einem Kuss auf die Wange verabschiedete ich mich von Ally und machte mich wieder auf den Heimweg. Es war noch heißer als heute Morgen, 30 Grad mit Sicherheit. Meine Gedanken drehten sich nur noch um eins, um eine schöne, kalte Dusche!

PromisedTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon